By Andreas Jüttner
07.06.2005 / Badische Neueste Nachrichten
Ist das noch Theater, wenn ein Poltiker um Sympathie buhlt, indem er sich auf der Bühne über die Peinlichkeiteen seines eigenen Wahlkampfes lustig macht? Aber klar doch. Denn schileßlich ist Politik selbst oft nichts anderes als Theater, Inszenierung und Rollenspiel – zumal im Wahlkampf. Und ist es noch Theater, wenn ein Berufssoldat erzählt, wie ihm die weitere Berufslaufbahn verbaut wurde, nachdem er bei einer Übung die Menschlichkeit vor den Befehl stellte? Aber sicher. Denn die wahren Dramen finden nach wie vor im Leben statt. Man muss nur hinsehen.
Hinsehen, sammeln, sortieren, zeigen – das ist eins der Arbeitsprinzipien der Gruppe Rimini Protokoll, die jetzt für die Internationalen Schiller-Tage Mannheim eine Uraufführung namens „Wallenstein“ erarbeitet hat. Schillers Drama um den Feldherrn im Dreißigjährigen Krieg, der zwecks Machterhalt die Seiten wechseln will, aber selbst verraten und ermordet wird, ist zwar nur als sehr loser Rahmen zu erahnen. Dennoch war die heftig beklatschte Premiere eine hoch spannenden Auseinandersetzung mit den Themen des Stücks: Macht, Treue, Verrat, Idealismus.
Ganz nah an den Zuschauer heran rückt das Stück, indem hier zehn Laien sich selbst spielen. „Was hat Wallenstein mit dir zu tun?“ – auf dieser Frage baut die Arbeit von Helgard Haug und Daniel Wetzel mit ihren freiwillgen Selbstdarstellern auf. Und da schmettert beispielsweise Ex-GI Darnell Summers, ein charismatischer Schwarzer mit ergrauten Rastazöpfen, in den Saal, dass er 1968 in Deutschland stationiert gewesen sei und die Beschreibung von „Wallensteins Lager“ auch auf seine Kaserne „Nixons Lager“ zutreffe. Oder der ruhige ältere Herr namens Robert Helfert, erzählt von seinen 119 Kampftagen im Zweiten Weltkrieg, als 15-jähriger Flakhelfer und sinniert darüber, ob er Schillers Liedzeilen „Im Felde da ist der Mann noch was wert, da wird das Herz noch gewogen“ nun im Deutschlunterricht, im Jungvolk oder bei der Hitlerjugend gelernt hat. Wohingegen der Elektromeister Friedemann Gassner genau weiß, wo er Schiller auswendig lernt: In seinem Hausflur. Seit 20 Jahren. Aus reiner Freude an der schönen Sprache.
Des Weiteren trefen auf: Ein Vietnam-Veteran, den beim öffentlichen Bericht darüber, wie seine Einheit ihren tyrannischen Vorgesetzten per Handgranate eliminiert hat, auch nach fast vier Jahrzehnten die Erschütterung ünerwältigt. Die Leiterin einer Seitensprung-Agentur, die im Hintergrund wirkt wie einst die Gräfin Terzky. Eine Astrologin, die Wallensteins Horoskop mit dem des ehemaligen Mannheimer OB-Kandidaten Dr. Sven Joachim Otto vergleicht. Der ist nämlich auch auf der Bühne und darf mit lakonimschem Humor die Flachheit seiner Bewerbung zerpflücken, zu der er als 20-Jähriger überredet worden sein will. Mit kreuzehrlich wirkenden Sätzen wie „Spagetti mit Tomatensoße ist das politisch korrekteste Lieblingsessen, das man in einer Imagebroschüre nennen kann“ macht er sich zum Publikumsliebling, womit die Aufführung das Verführungspotential von Schauspieltalenten in der Politik gnadenlos demonstriert.
Die letzte Schiller-Szene gehört dann auch einem anderen: Ralf Kirsten, der seinen Job als DDR-Polizist verlieren sollte, weil seine Lebenspartnerin dem Regime nicht passte, behielt seine Stellung wegen der Wende. 1996 trennte der sich von der Frau. Während er das erzählt, reicht ihm Ex-Flakhelfer Helfert ein Papier mit den Worten: „Dem Fürsten Piccolomini“. Und Kirsten sagt, dass er 1998 Polizeichef wurde.
Athentisch spielen: In der Uraufführung „Wallenstein“ bei den Schiller-Tagen stellen sich die zehn Mitwirkenden, die für heutige Aspekte des Schiller-Dramas stehen, selbst dar. Szene mit Polizist Ralf Kirsten und Astrologin Esther Potter, links per Foto im Bild: Sven-Joachim Otto. Foto: Prutek
(Aufführungen: 7., 8., 9., 10. Juni, jeweils 20 Uhr. Probenzentrum Mannheim-Neckarau, Eisenbahnstraße 2, www.schillertage.de)