By Irene Bazinger
30.05.2009 / Frankfurter Allgemeine Zeitung
Es klingt wie eine Drohung, wenn ein Unternehmen verspricht, "rund um die Uhr" für seine Kunden erreichbar zu sein. Denn jeder weiß, dass er dann bei Anrufen mit seinen Fragen oder Problemen in einem Call-Center landen wird, dessen unterbezahlte Mitarbeiter zwar auf devote Höflichkeit dressiert sind, jedoch meist nicht wirklich verstehen, was los ist. So ungefähr geht es auch einem Berliner, der sich telefonisch eine Pizza bestellt und nicht ahnt, dass er bei einem Call-Center in der indischen Metropole Kalkutta gelandet ist. Höchst unklar bleibt, ob der junge Asiate, der ihn betreut, jemals eine solche Backware gekostet hat. Aus der abenteuerlichen Kommunikationssituation, in deren Verlauf die Pizza tatsächlich heiß auf den Tisch geliefert wird, haben Helgard Haug und Daniel Wetzel von der Gruppe Rimini Protokoll das Hörspiel "Waldeinsamskype" entwickelt. Es beruht auf Recherchen in Kalkutta und schließt die heutige Romantik mit heutigem Kapitalismus kurz, Ludwig Tiecks Märchen "Der blonde Eckbert" mit den Potentialen des World Wide Web.
Bald singen der deutschfreundliche Inder und der überraschte Berliner Schubert-Lieder in ihre Hörer und rekonstruieren in der Anonymität des globalen Datentransfers unabsichtlich Begriffe wie Heimat, Tradition, Seelenverwandtschaft. So virtuell die beschworene Nähe zwischen den Sprechern Sagnik Chakraborty und Lars Rudolph, so amüsant die Schnittstellen der rein vokalen Verbindung. Wieder einmal montieren die geschickten Feldforscher von Rimini Protokoll allerlei Zitate aus der Alltagssprache zusammen, was den Dialogen eine authentische Geläufigkeit und fesselnde Suggestivkraft gibt. Die akustische Atmosphäre ist nach oben und unten stumpf, reflektiert dadurch die oft labilen Rahmenbedingungen bei der Internettelefonie und die Beschränkungen des sowohl freien wie auch fiktiven Austauschs in diesen surrealen deutsch-indischen Fabelwäldern.