Was der Bote überbringt

Die Welt im Guckkasten: Rimini Protokoll gastiert mit „Breaking News“ im Schauspiel Frankfurt.

By Eva-Maria Magel

21.02.2008 / Frankfurter Allgemeine Zeitung


Wenn ganz normal aussehende Leute sagen „Ich schieße Sirius fünf Grad Ost an“, dann meinen sie damit, wie sie ihre Satellitenschüssel ausrichten. Die martialische Formulierung zeigt an: Nachrichten gibt es nicht nur hauptsächlich über Krieg, sie sind auch einer. Er fängt auf dem eigenen Balkon an und gehorcht Formen, die sich seit 2500 Jahren kaum geändert haben.

Damals hat Aischylos, der selbst dabei gewesen ist, sein Stück um die Schlacht der Hellenen gegen Xerxes geschrieben. Jetzt liest Hans Hübner, ehemaliger Afrika-Korrespondent der ARD, von oben herab Auszüge aus Aischylos’ „Perser“ – und nicht nur ihm selbst kommt es vor, als habe der Botenbericht von der Schlacht mit seinem Job zu tun; die Hybris des Xerxes mit dem Selbstbewusstsein der Kriegsberichterstatter von heute. Boten sind auch sie und erscheinen im Glotzkasten der Wohnzimmer – logisch also, wenn die Welt der Nachrichten ihrer Übermittler und Konsumenten einmal im Guckkasten des Theaters zur Sprache kommt.

„Breaking News“, also „allerneuste Nachrichten“, heißt das Projekt des Produktionsteams Rimini Protokoll, das nun im Schauspiel Frankfurt gastiert. Zwei Stunden über Nachrichten, Boten und Übersetzer, die Banales und Kurioses zusammenfügen wie die Nachrichten von ARD, CNN, Telesur oder Al Dschazira, die live eingespielt und dann wiederholt, gestückelt, kommentiert werden. Ein „Tagesschauspiel“, das jeden Tag anders ausfällt, je nach Nachrichtenlage, mit der Hilfe der Medienmacher und Dolmetscher Símon Birgisson, Martina Englert, Djengizkhan Hasso, Carsten Hinz, Hans Hübner, Marion Mahnecke, Andreas Osterhaus, Walter van Rossum und Sushila Scharma-Haque, die vor Fernsehgeräten dolmetschend und kommentierend aus ihren Berufen und ihrem Leben erzählen.

Marion etwa, seit Jahrzehnten Nachrichten-Cutterin beim ZDF, kann für jede Nachricht vorhersagen, wie sie aussehen wird, getreu dem Journalistenmotto: „Ist der Redakteur noch so fleißig, der Beitrag bleibt eins dreißig“. Die neunzig Sekunden, erklärt Marion, sind Überblickbild, Details, dann ein Originalton. Wer es überprüfen will, wird zur Kenntnis nehmen, dass das nicht nur bei „heute“ und der „Tagesschau“, sondern überall so ist – und sieht während der knapp zwei Stunden „Breaking News“, dass auch die Bilder fast überall auf der Welt gleich sind. Nur die Gewichtung kann höchst unterschiedlich sein: Locker sagt etwa der syrische Kurde Djengizkhan, die meisten der Sender der arabischen Welt kämen eben aus Diktaturen, was gewisse Kommentare erkläre. Nicht alles in den knapp zwei Stunden ist eine atemberaubende Neuigkeit. Und im Gegensatz zu früheren Arbeiten von Rimini Protokoll hat das „Tagesschauspiel“ nur durch Zufälle – die Nachrichtenlage und die Tagesform der Protagonisten – Höhepunkte. Im Grunde gibt es auch kein richtiges Ende. Doch zeigt auch diese Produktion, was seit nunmehr acht Jahren die Stärke dieses Realitätentheaters ausmacht: die Suche nicht nur nach einem Thema, das die Lebenswelt der Zuschauer, der Produzenten und ihrer Protagonisten berührt, sondern auch nach den richtigen und über das Eigentliche hinausweisenden Fragen, die Helgard Haug und Daniel Wetzel, diesmal ohne den dritten Rimini-Kollegen Stefan Kaegi, auch schon zum Altern, zum Tod, zu Call-Centern oder zu Karl Marx’ „Kapital“ gestellt haben. Sie fragen mit „Experten der Wirklichkeit“, die sie auf die Bühne bringen. Vertrauensvoll und auch bei den ersten beiden Themen stets mit einer menschenfreundlichen Grundheiterkeit, die bei allen, auch den unangenehmen Fragen für ein positives Gefühl bei den Zuschauern sorgt. Und ein wenig klüger geht man immer nach Hause.

Mittlerweile ahmen viele das Erfolgsmodell nach, das Haug, Wetzel und Kaegi in verschiedenen Konstellationen schon in ihrer Studienzeit am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen erprobten. Im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm zum Beispiel, wo schon im Jahr 2000 „Kreuzworträtsel Boxenstopp“ zu sehen war. Eine erste Monographie über sie ist jetzt erschienen, herausgegeben vom Frankfurter Florian Malzacher, einem ehemaligen Giessener Kommilitonen, der mittlerweile Dramaturg beim Grazer Festival Steirischer Herbst ist. Womit, passend zu den Projekten von Rimini Protokoll, wieder einmal bewiesen wäre, das die Welt doch sehr klein ist.

Langweilig aber findet Helgard Haug es nicht, mit der gleichen Methode Projekt auf Projekt anzugehen. Die Fragen des Alltags entwickeln im Theaterraum eine besondere „Sprengkraft“, so Haug. Ob sie selbst, sozusagen im Gegenzug, mal eine „richtige“ Inszenierung wagen würden, will sie nicht ausschließen. Schließlich sind ihre und Wetzels Projekte, wie der „Wallenstein“ oder „Breaking News“, oft verwoben mit genuinen Theatertexten. Der Erfolg gibt den dreien , mehrfach preisgekrönten und beim Publikum sehr beliebten, recht. Zwei Jahre im Voraus plant das Kollektiv mittlerweile, hat ein eigenes Büro und neben wechselnden Teams eine feste Kraft. Fragen, die man auf die Bühne bringen kann, gebe es genug: Aus jedem Projekt, so Haug, entspinne sich ein neues. Ist es Aufklärung, was sie treiben? Nein, sagt Haug schnell, das klinge so didaktisch. Nein, sagt Daniel Wetzel „aufklären“, das wollen sie nun wirklich nicht. Was dann? „Theater machen.“


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