By Peter Neumann
21.05.2000 / Berliner Zeitung
Auf die Geruchsnerven der Berliner und Berlin-Besucher kommt eine Herausforderung zu. Knapp 350 Kilometer westlich von hier, im Weser-Städtchen Holzminden, arbeitet der Parfumeur Karl-Heinz Bork an einem Duft, der ganz besonderen Art: „U-deur“ soll die Kreation heißen – und dem Geruchs-Mix auf dem U-Bahnhof Alexanderplatz nachempfunden sein. In 10.000 Zwei-Milliliter-Flakons ist das Metropolen-Parfum vom 8. Juni an zu haben. Ein Automat auf dem Bahnsteig der Linie U2 verkauft die Fläschchen für zwei Mark das Stück.
Die Idee stammt von Helgard Haug, einer Künstlerin aus dem Bezirk Prenzlauer Berg. Die 31-jährige Schwäbin hatte sich gefragt: „Wie bekomme ich einen Ort, der normalerweise Mobilität stiftet, selbst mobil?“ Also: Wie lässt sich ein Raum mitnehmen? Dann überlegte sie, was Orte charakterisiert und in die „Kartografie“ der Erinnerung eingehen lässt. „Ich dachte an die Gerüche in der Londoner U-Bahn und verglich sie mit denen in Berlin. In London ist die Luft rauchiger.“
Doch was erfüllt die Luft auf dem U2-Bahnsteig unter dem Alexanderplatz? Ihre Eindrücke kann Helgard Haug bis heute nicht auf den Punkt bringen: „Es ist eine Vielzahl von Gerüchen. Es riecht nach Croissants aus dem Back-Shop, nach Ölstaub, nach Technik.“ So ist noch nicht klar, wie U-deur“ eigentlich riechen wird. Mehrmals schnupperte Helgard Haug mit dem Parfumeur aus Niedersachsen Bahnhofsluft. Nun ist er dabei, den Duft in seinem Labor nachzustellen. Auf das Ergebnis ist Helgard Haug gespannt – und nicht nur sie: „Freunde aus dem Ausland haben mich schon nach dem Parfum gefragt.“ Bei großer Nachfrage will sie eine zweite Serie produzieren lassen.
„U-deur“ ist eines der fünf Projekte, die beim diesjährigen Wettbewerb „Alexanderplatz U2“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst erfolgreich waren. Zwei weitere feiern ebenfalls am 8. Juni um 21 Uhr Vernissage. Martin Kaltwasser beflastert die Wände mit Zeichnungen, die Ausblicke auf das unterirdische Leitungsgewirr jenseits davon erlauben. Folke Köbberling betreibt in einem alten Fahrkartenschalter rund vier Wochen lang eine Gepäckaufbewahrung. Kurator Frank Ellert: „In diesem Jahr gehen wir stärker auf die Passanten ein. Service gehört dazu.“ Doch Künstlerin Köbberling verlangt eine Gegenleistung: Ihre Kunden sollen aufschreiben, wie sie sich den Alexanderplatz in Zukunft vorstellen.
Im September startet die zweite Projekt-Staffel. In der Zugabfertiger-Kanzel zeigen Ulrike Feser und Wolfgang Stahr Videos zum Thema Dienstleistungen. Achim Kobe kleidet den Bahnhof mit 800 Quadratmeter selbst bemalter Tapete aus. Eines bleibt den Fahrgast jedoch erspart: Bei meinem Duftprojekt wollte ich zunächst Gerüche in die Stationen leiten. Dann hätte es auf dem U-Bahnhof Zoo wie im Leopardenhaus gerochen“, sagte Helgard Haug. „Aber das war dann doch zu schwierig.“