By Patrick Wildermann
24.10.2019 / tagesspiegel.de
Ein Raum voller Kinder mit beleuchteten Gesichtern, die alle angestrengt auf ihre Smartphones starren und mechanisch auf das Display tippen – das ist ja heute kein wirklich ungewöhnlicher Anblick mehr. Es sei denn natürlich, es handelt sich um einen Theatersaal. Da ergeht an alle Altersklassen die Order, bitte mal für anderthalb Stunden nur echte Menschen anzuschauen, auch wenn’s schwerfällt. Das Grips-Theater kommt jetzt aber den Bedürfnissen der Digital Natives entgegen und bringt eine „Cloud-Performance“ zur Berliner Premiere, die ausschließlich übers Handy funktioniert und deren Hauptdarsteller sie selbst sind.
„Bubble Jam“ heißt diese smarte Veranstaltung, die sich „Rimini Protokoll“-Mitglied Daniel Wetzelausgedacht hat und deren Uraufführung 2018 in Athen stattfand. In der Grips-Spielstätte Podewil führt nun Schauspieler Jens Mondalski (alternierend spielen auch Nina Reithmeier und René Schubert) kurz mal in die Regeln des interaktiven Games ein.
Zwei Missionen stehen zur Auswahl, die es online zu bewältigen gilt. Entweder „Planet B“, ein Klimakatastrophen-Szenario, das die Besiedlung eines neuen Planeten erfordert. Oder „Sieg der Trolle“, ein Spiel mit dem Ziel, eine neue Welt ohne Rassismus zu bauen. Bevor’s losgehen kann, stehen noch ein paar muntere Quizrunden an.
Auf den Bildschirmen der Smartphones, mit denen alle Teilnehmenden ausgestattet werden, melden sich Steven und Alex, die aus 2500 Kilometern Entfernung („Mein letztes Game war in Shanghai!“) grüßen und durch die Vorrunden leiten. Die bestehen aus Persönlichkeitstests und Quizrunden.
Wo kommt ein Algorithmus zur Anwendung? Beim Googeln, beim Sandwichmachen? Wenn Instagram ein Kind wäre, welche Klasse würde es heute besuchen? Die dritte, die neunte? Gefragt wird aber auch: Wie viele Stunden täglich verbringst du am Handy – und womit? Postest du Fotos von dir? Und hattest du schon dein erstes Mal?
Nach jeder Runde mit Multiple-Choice-Antworten blinkt ein Tortendiagramm auf, das einem verrät, in welcher Prozent-Gruppe, man könnte auch sagen:in welcher anonymen Blase man sich befindet. Um der virtuellen Vereinzelung entgegenzuwirken, gibt’s zwischendrin auch immer mal wieder sogenannte Live-Chats, zu denen man sich mit anderen Spielern zusammenfindet und vorgegebene Themen in 90 Sekunden diskutiert.
Zum Beispiel: „Ist das Leben ein Spiel?“, oder: „Was hältst du von Fridays for Future?“. Was zu bemerkenswert philosophischen Ad-hoc-Monologen von Schülerinnen und Schülern führen kann. Sind definitiv noch nicht alle von den sozialen Kanälen verdummt worden.
Natürlich hat „Bubble Jam“ bei all dem auch einen tieferen Sinn. Ohne zu viel zu verraten, denn das virtuelle Mitmach-Erlebnisnimmt eine recht überraschende Wende: Es geht im Kern um die Sorglosigkeit, mit der wir Informationen von uns preisgeben.