By RP
06.04.2009 / Rheinische Post
Das Künstlerkollektiv Rimini Protokoll ist bekannt für ungewöhnliche Theaterprojekte wie die Inszenierung des Kapital von Karl Marx oder die Kurzschließung deutscher Zuschauer mit Mitarbeitern eines Call-Centers in Indien. Am Mittwoch lädt Rimini Protokoll zur "aufwendigsten
Inszenierung Deutschlands" ein: zur Ationärsversammlung der Daimler AG in Berlin. Ein Gespräch mit Daniel Wetzel, einem der Köpfe von Rimini Protokoll, über das Theater um die Ökonomie.
Wieso ist die Aktionärsversammlung eines Unternehmens eine Inszenierung?
Wetzel
Weil diese Veranstaltung penibel durchorganisiert ist. Da bleibt schon allein aus Angst vor juristischen Formfehlern nichts dem Zufall überlassen. Das Ganze ist ein Wechselspiel zwischen Karten auf den Tisch legen und Karten verstecken – ein Erlebnis.
Aber es geht nicht um Fiktion, sondern um sehr reale Werte!
Wetzel
Im Theater geht es immer um die Realität. Auch bei Romeo und Julia. Da durchlebt man aber Ergreifendes.
Warum wollen Sie Publikum auf eine dröge
Aktionärsversammlung lotsen?
Wetzel
Bei Romeo und Julia geht es auch darum, Erfahrungen machen zu können – etwas, das man im Prinzip weiß, selbst zu durchleben. Wir wollen Menschen, die noch nie auf einer Aktionärsversammlung waren, einladen, das als "Aktionäre für einen Tag" zu beobachten. Wir finden
nämlich, dass man gesellschaftliche Szenen besser da anschaut, wo sie passieren, statt sie mit geschminkten Schauspielern nachzuspielen.
Wie kommen die Leute denn in die Versammlung?
Wetzel
Für 200 Gäste haben wir eine Zugangsberechtigung. Wir haben ein paar Aktien gekauft, die wir übertragen, und haben Daimler-Aktionäre gebeten, einen Gast mitzunehmen oder uns die Einladung zu überschreiben.
Und was erleben die Zuschauer dann?
Wetzel
Sie erleben das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Gruppen: Da sitzen ein paar Millionäre, die Vorstände und Aufsichtsräte eines Unternehmens, acht- bis 10 000 Aktionären gegenüber. Aber das Ungleichgewicht, um das es uns eigentlich geht, sitzt in jedem Aktionär selbst, das schlummert in der Anlage seiner Rolle. Vorab gibt es von uns ein Briefing, eine Art Einführung zum Stück, auch ein Programmheft mit reflektierenden Texten und stündlich sogenannte
Nischengespräche im Foyer, bei denen Experten über den Stand der Dinge Auskunft geben.
Wer sind denn die Helden der Inszenierung, wer die Schurken?
Wetzel
Ich glaube, es gibt weder Helden noch Schurken. Aber es gibt den Schurkenverdacht und zwar in beide Richtungen: Manche Aktionäre verdächtigen die Manager, Schurken zu sein. Und die Manager müssen zum Beispiel räuberische Aktionäre fürchten, die hoffen, während der Versammlung Verfahrensfehler zu entdecken, die sie zu Geld machen können.
Haben Sie keine Angst, dass die Inszenierung ziemlich langweilig werden könnte.
Wetzel
Nein, denn wir sind nicht verantwortlich, wir haben die Regie ja delegiert. Tatsächlich dürfte es ziemlich langweilig werden, denn in Gesprächen, die wir im Vorfeld mit Vorständen großer Unternehmen geführt haben, hat man uns erklärt, dass Langeweile sogar das Ziel solcher Versammlungen ist. Das Unternehmen soll sich seriös präsentieren, darf nicht chaotisch erscheinen,
sich keine Blöße geben, aber man will da nichts Verkaufen.
Erwarten Sie wenigstens ein Happy End?
Wetzel
Ja, das ist ganz sicher. Selbst in schwierigen Zeiten darf der dominante Akteur dieser Inszenierung, das Unternehmen, damit rechnen, dass der Vorstand mit weit über 90 Prozent entlastet wird. Das sind doch Traumergebnisse.
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