By Christine Wahl
27.11.2008 / Der Tagesspiegel
Als Miriam Yung Min Stein in ein Röhrchen der Firma 23andMe spuckte und dann mit dem „genomcollector“ einer zweiten Firma einen Wangenabstrich machte, um Aufschluss über ihre genetische Identität zu erhalten, durfte sie sich über sehr unterhaltsame Testergebnisse freuen: Weiblich, braune Augen, signifikant erhöhtes Prostatakrebsrisiko – so in etwa lauteten, zusammengefasst, die Analyseerträge.
Herzliches Gelächter am Frühstückstisch im WAU, der Quasi-Kantine des Hebbel am Ufer: Die junge Journalistin und Autorin, die als Kind aus Südkorea nach Deutschland adoptiert wurde, hat die beiden Marktführer der genetischen Spurensuche für das neue Projekt von Rimini Protokoll getestet. Die Firmen mit Sitz in Island und Kalifornien lassen sich ihre Leistungen zwar fürstlich bezahlen – ein Test kostet bis zu tausend Dollar – und verschicken im Gegenzug auch wirklich adrett designte Spuckröhrchen, erzählen die Rimini-Protokollanten. Aber wenn es zum Treffen kommt, diagnostizieren sie weiblichen Kundinnen eben erhöhte Prostatakrebsrisiken – jedenfalls noch. „Die Tests sind zurzeit sehr grobmaschig, flirten aber schon mal damit, was künftig möglich sein wird“, sagt Daniel Wetzel.
„Geplant ist eine Art genetisches Facebook.“ In Amerika, so Helgard Haug, habe die genetische Identitätsgründelei als letzter Lifestyle-Schrei schon jetzt den Run auf die Psychoanalyse abgelöst. Aber egal, bis zu welchem Feinmaschigkeitsgrad die Verfahren in den kommenden Jahren perfektioniert werden: Dieser Rest Ungewissheit – das schwarze Loch am Beginn jeder Biografie – wird schwerlich komplett verschwinden. Und genau dieser Punkt interessiert Haug und Wetzel in ihrer neuen Produktion „Black Tie“: Wie erzählt man die eigene Lebensstory ohne den üblichen Ursprungsmythos? Werden infolge von Globalisierung und Migration Biografien künftig anders geschrieben?
Miriam Yung Min Steins Geschichte beginnt 1977 auf einem deutschen Flughafen.
Von der Zeit davor in Südkorea, wo sie – wie die Adoptionsvermittlungstelle ihr später mitteilt – als Baby in einem Karton auf der Straße gefunden worden sein soll, kennt sie nur Wahrscheinlichkeiten, keine Fakten. Die junge Frau, die sich für ihren großen Rimini-Protokoll-Auftritt schon mal in Christoph Schlingensiefs „Kunst und Gemüse“ vor vier Jahren warmgespielt hat, wird in „Black Tie“ ganz allein auf der Bühne stehen. Eine Zäsur in der Rimini-Arbeit: Nachdem die Wirklichkeitsrechercheure bis dato mit verschiedenen Alltagsexperten möglichst viele Perspektiven auf ihr jeweiliges Thema eröffneten, soll nun bewusst der mikroskopische Blick auf ein Leben folgen. Miriam Yung Min Stein erscheint schon beim Gespräch als Idealbesetzung für diese Solorolle. Nicht nur, weil sie als ehemalige Musikvideoproduzentin oder Hollywood-Werbefilmerin mit Anfang 30 bereits eine Menge zu erzählen hat. Sondern auch, weil sie über „den ewigen Konflikt zwischen Milieu und Veranlagung“, darüber, welche Reibungsflächen sich für ein Kind mit einem koreanisch aussehenden Körper in einer blonden Osnabrücker Familie auftun, genauso lebendig wie reflektiert erzählen kann.
Stein hat sich zudem weit über ihre eigene Geschichte hinaus mit Migration, internationaler Adoption und jenem hoch komplizierten Themenfeld beschäftigt, das Daniel Wetzel „Hilfsimperialismus“ nennt. Es bildet den zweiten Strang des Rimini-Abends: Kennen die gutwilligen Helfer, die mit Adoptionen, anonymen Samenspenden oder Weihnachtspaketen für Waisenkinder die naturgemäß schlechte Welt ein wenig aufzuwerten gedenken, die schwarzen Löcher eigentlich, die ihre Hilfe – auch – erzeugt? Welche Krisengebiete werden aus welchen
Gründen mit Hilfsmaßnahmen übersät, welche gehen leer aus? Und was verschafft uns eigentlich das unerschütterliche Selbstbewusstsein, andere würden sich über unsere abgetragenen Pullover freuen?
Miriam Yung Min Stein wird diese beiden Ebenen mit ihrer intelligenten Erzählweise garantiert aufs Erhellendste verknüpfen.