By Petra Schellen
24.08.2004 / taz
Sie träumten einen Traum, und das war der von der ewig währenden Arbeitsplatzgarantie. Dabei waren sie nicht einmal in der Ex-DDR aufgewachsen, sondern in Belgien, genauer: im Schoße des Mammut-Arbeitgebers Sabena, der 2001 in die dramatische Pleite ging. Dabei hatten die Sabena-Leute diesen Traum nicht einmal selbst ersonnen. Nein, der Mutterkonzern hatte zur Hoffnung auf umfassende Fürsorge Anlass gegeben: Als "große Familie" inszenierte sich die Fluglinie, mit "Welcome"-Seminaren wurden neue Mitarbeiter begrüßt. Die wiederum gaben sich der Gehirnwäsche gern anheim, standen flexibel in des Arbeitgebers Diensten. Der allerdings seit den Neunzigern kräftig am Defizit bastelte, bis 2001 der Konkurs eintrat, der 12.000 Menschen den Job kostete. Aus war es da mit der Empathie und Fürsorge: "Go home & follow the news" war der Kommentar des Managements. Klartext: "Tut uns Leid, war alles nur Spaß mit der Corporate Identity."
Die Verbitterung von damals regiert allerdings nicht die jetzt auf Kampnagel Hamburg gezeigte Inszenierung des Ensembles "Rimini Protokoll", das gekonnt den Grat zwischen Realität und Fiktion beschreitet; den professionellen Umgang mit dem Tod hatten sie etwa in "Deadline" abgefragt, das 2004 zum Berliner Theatertreffen eingeladen war.
Als gelungene Mixtur aus Authentizität und Poesie präsentiert sich vielmehr die Collage aus Videos und Live-Präsentationen: Sieben Ex-Sabeniens hat "Rimini Protokoll" ausgewählt und quer durch die Hierarchien dem Mythos Sabena nachgespürt. "Ich habe meine Uniform nie zurückgegeben", sagt eine Mitarbeiterin auf einem Video von 2001. "Ich bin Mitglied von 15 weiter bestehenden Sabena-Freizeit-Clubs", erklärt live der Ex-Pilot. Und der Ex-Sicherheitschef, dessen Sabena-Zeugnisse nichts mehr wert sind, kann immer noch Flugzeuge aus Gurken schnitzen. Sie werden durch die Reihen gereicht, und das Publikum schwankt zwischen Befremden, Belustigung und Empathie.
Doch die Regie schafft den Spagat: Keine Sekunde lang wird irgendwer vorgeführt, nie irgendwelches Selbstmitleid zelebriert. Sachlich erzählt der Arbeitslose vielmehr von seinen 40 Bewerbungs-Kravatten; gewandt doziert die Ex-Stewardess, die eine Bewerbungsberatung betreibt, über das Lächeln. Ein anderer produziert inzwischen Anti-Depressions-Pillen. Ironie schwingt mit angesichts solcher Wendungen; leise kritisch klingt die Erklärung des Ex-Sicherheitschefs zur Begleitung "rückführungs-unwilliger" Afrikaner: "Ihr müsst mich so einklemmen, dass ich mich nicht mehr bewegen kann - koste es auch mein Leben. Man nennt das Selbstverteidigung." Ob Identifikation ihre Grenzen hat?
"40 Prozent der Weltbevölkerung genügen, um hundert Prozent der Arbeit zu tun", sagt der Arbeitslose und tigert wie im richtigen Leben durch seine imaginäre Wohnung. Und ganz langsam beginnen sich in der Inszenierung die Schicksale zu einer Choreografie zu verbinden: Auf den Boden geklebte Bänder lassen ein Spielfeld - nein, eine Startbahn wachsen, anhand derer man so wunderbar seinen letzten Tag rekonstruieren kann. Oder das Ritual des "letzten Fluges" nachholen, der mit einem gewaltigen Crash der Tischtennisbälle - man erinnert sich an das Sabena-Tischtennisteam - endet. "Wir konnten bei den Aufführungen in Belgien immer sehen, welche Zuschauer Ex-Sabeniens waren", sagt der Ex-Sicherheitschef später. "Sie haben alle geweint." Auf Kampnagel weint keiner. Die Ex-Sabeniens lächeln und danken am Ende des Flugs. Irgendwie ist uns kühl heute Abend. " Petra Schellen
taz Nord Nr. 7443 vom 24.8.2004, Seite 23, 118 Kommentar Petra Schellen, Rezension