By ANNA DÜNNEBIER
29.02.2008 / Kölner Stadtanzeiger
Köln ist ein guter Ort für Radiokunst. Im vergangenen Jahr war es der WDR, der den „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ gewonnen hat, in diesem Jahr ist es der Deutschlandfunk (mit dem WDR als Koproduzent). „Karl Marx: Das Kapital, Erster Band“, heißt das preisgekrönte Hörspiel von Helgard Haug und Daniel Wetzel von der Theatergruppe „Rimini Protokoll“. Das sind keine Unbekannten und auch das Stück ist es nicht. „Rimini Protokoll“ wurde schon vielfach ausgezeichnet, und die Bühnenversion erhielt im vergangenen Jahr den Mülheimer Theaterpreis.
Redakteurin Elisabeth Panknin hat die Theatermacher dazu angespornt, gleichzeitig an einer Version für das Radio zu arbeiten. Das verlangt ganz andere akustische Mittel. In der Intimität des Hörspiels spricht es sich anders als im öffentlichen Theaterraum. Besonders wenn es sich nicht um Schauspieler handelt, die einen Text vortragen. Hier sprechen Menschen ohne Bühnenerfahrung, die durch ihr Leben Experten für das „Kapital“ von Karl Marx wurden, ein dickes Buch, das jeder kennt und kaum einer gelesen hat. Diese „Experten des Alltags“ sollen es weder erklären noch verlesen. Vielmehr geht es darum, dessen Spuren in der Gesellschaft nachzuzeichnen. Acht Menschen setzen ihr Leben in Beziehung zu dem Werk, hören einander zu, befragen einander. Haug und Wetzel sprachen mit Hunderten von Menschen, aus denen sie dann die Darsteller aussuchten. In einer sehr aufwändigen Produktion, die sich über ein Jahr hinzog, entstand das Hörspiel in einem gemeinsamen Arbeitsprozess von Autoren und Experten.
Aus Unmengen von Gesprächen, Versuchen, die verworfen wurden, Wiederholungen, Variationen, aus vielen Stunden Aufnahmen collagierten Haug und Wetzel ein Stück verdichteter und inszenierter Realität. Die Jury war begeistert darüber, wie die authentischen Stimmen zu einem provokanten und zugleich kulinarischen Radio-Erlebnis komponiert sind. Das alte O-Ton-Hörspiel wird revolutioniert! Man genießt subtilen Witz, scharfe politische Analyse, und vor allem den akustischen Mehrwert.
Die Autorin war Jury-Vorsitzende.