By Charles Lindsmayer
26.05.2005 / Der Bund
Modelleisenbahnen als aktives Spielpotenzial in einer Performance mit Laien bzw. Ready-Made-Darstellern: Der junge Schweizer Stefan Kaegi dehnt in Basel den Begriff Theater ein gutes Stück weiter aus.
Im Foyer des Basler Theaters ist eine Swissminiature-Eisenbahnwelt aufgestellt: Gebirge, ein Basler Vorortquartier, der Schweizer Fleischberg, Leipzig und das Dorf Bannwil BE, Herkunftsort von Rahel Hubacher, der einzigen professionellen Schauspielerin des Abends.
Die andern sind Laien und Mitglieder des Modellbauvereins Modulbaufreunde Basel, in dessen Vereinslokal sie die für die Aufführung benötigte Modellanlage selbst gebaut haben. Nun treten sie in der Anlage in Aktion, bringen die Züge zum Fahren, erzählen aus ihrem Leben und von ihrer Modelleisenbahnkarriere. Dazwischen lesen sie Statistiken zu den Themen Landwirtschaft und Umwelt, menschliche und tierische Population, Ausbeutung der Dritten Welt vor, rezitieren Heiratsannoncen aus dem bäuerlichen Bereich und stellen anhand von Modellen und dazugehörigen Filmaufnahmen die Häuser vor, in denen sie wohnen.
Ab und zu wird ein Spiel oder Wettbewerb durchgeführt, dessen Sieger dann, nachdem er an einer übergrossen Mnemosyltablette genascht hat, einen Mnemoflash zugebilligt bekommt: Mittels einer Cyberbrille wird er auf die grosse Filmleinwand im Hintergrund projiziert und kann so quasi an der Fahrt des Modellzuges teilnehmen, die mittels einer auf der Lok befestigten Kamera auf die Leinwand übertragen wird. Der Flash muss aber bald wieder abgebrochen werden, sonst fällt der Kandidat ins Bodenlose oder wird Opfer eines Zugsunfalls.
Gespenstische Welt
Der 1972 in Solothurn geborene Stefan Kaegi hat sich mit Theaterprojekten im öffentlichen Raum einen Namen gemacht und Vorführungen mit arbeitslosen argentinischen Pförtnern und Haustierbeseitzern aus Buenos Aires realisiert und Happenings mit Motorrädern in Graz, mobiltelefongesteuerten Einkaufstouren durch Berlin oder einer Schnitzeljagd durch Krakau organisiert.
Das Basler Projekt «Mnemopark» verblüfft zunächst einmal als technische Spielerei, generiert die Kamera, die auf dem Modellzug durch die künstliche Landschaft fährt, auf der Leinwand doch eine unwirklich-unheimliche, traumhaft gespenstische Welt, die zu derjenigen der naiv-vereinsmeierischen, wie grosse Kinder in ihr Spiel vertieften Modellbauer in einem bemerkenswerten Kontrast steht.
Was nur sehr schwer nachvollziehbar wird, ist die offenbar sehr ernst gemeinte ökologische, technik- und zivilisationskritische Seite der Angelegenheit, soweit sie denn verbal thematisiert wird. Auch der indische Film, den die Equipe in ihrer Modellwelt simuliert, bleibt bis auf die Momente, in denen echte Filmausschnitte auf der Leinwand erscheinen und die realen Modelleisenbahner mit den Filmprotagonisten zusammen in eine Musical-Sequenz verfallen, leere Behauptung.
Beeindruckend dagegen ist die soziale Dimension des Ganzen, die in den Erinnerungen der Beteiligten zum Tragen kommt und das Spiel mit den Modellen als eine Flucht in eine künstlich stilisierte Welt erscheinen lässt. Eine Welt zwischen Happening, Big Brother, Glückslotterie und Erinnerungswerkstatt, die vielleicht als Abbild einer immer mehr verstädternden, allem Natürlichen entfremdeten Schweiz begriffen werden kann, die aber zugleich auch vordemonstriert, wie weit die Grenzen dessen, was unter Theater verstanden werden kann, heute gesteckt sind.