By Florian Kühlem
24.08.2013 / Emsdettener Volkszeitung, Hellweger Anzeiger, Haltener Zeitung
BOCHUM. Die Ruhrtriennale ist erst einen Tag alt und schon muss eine unbe- dingte Empfehlung ausgesprochen werden: Die Uraufführung "Situation Rooms" von Rimini Protokoll sollte man sich auf gar kei- nen Fall entgehen lassen. Zu erleben ist sie in der Bochumer Turbinenhalle.
Das Autoren-Regie-Team verschiebt in seinem begehbaren Stück auf geniale Weise das klassische Gefüge von Darstellern und Zuschauern und gibt nachhaltige Einblicke in eine Welt im Kriegszustand. Rimini Protokoll arbeiten fast nie mit Schauspielern, sondern mit "Experten des Alltags", die ihre Welt auf die Bühne bringen oder zur Bühne machen.
20 Alltagsexperten
In der Turbinenhalle ist es eine Mischung aus beidem: Die Experten agieren in Räumen, die ihren Alltagsräumen nachempfunden sind. Der libysche Flüchtling in einem
Übergangsheim, der Friedensaktivist aus der Waffenstadt Oberndorf im Modelleisenbahnkeller, der Manager eines Rüstung- skonzerns im Büro. Den Zuschauern, die mit einem Tablet-Computer in der Hand exakt getaktet durch die Räume laufen, wird nichts vorgespielt. Sie nehmen jeweils für sieben Minuten die Perspektive eines der 20 Alltagsexperten ein. Sie führen in seinen Räumen seine Handlungen aus, begegnen anderen Zuschauern in ihren Rollen, interagieren. Die intensive Wirkung des Stücks resultiert aus einer technischen und logistischen Meisterleistung, einer gewaltigen Recherchearbeit und einer genialen Umsetzung. Mit einer postmodernen, fragmentarisierten Erzählweise entspricht Rimini Protokoll der alten aristotelischen Lehre, die das Durchleben extremer Gefühle im Theater fordert. Der Zuschauer lebt kurze Zeit mit und in diesen Menschen, ist Kindersoldat im Kongo oder deutscher Sportschütze. Beide können sich ein Leben ohne Waffe nicht mehr vorstellen.
"Situation Room" heißt das Zimmer im Weißen Haus, von dem aus der oberste Stab um Präsident Obama die Tötung von Osama Bin Laden steuerte. Es wurde zum Symbol für eine neue Art der Kriegsführung, die nicht mehr vor allem von Mensch zu Mensch, sondern auch vom Schreibtisch aus über unbemannte Drohnen geführt wird. Rimini Protokoll gibt einen erschreck- enden Einblick in diese Welt und zeigt ganz nebenbei: Viele Kriege werden mit deutschen Waffen geführt.
Max Florian Kühlem
Bis 15. September täglich außer montags. Karten: Telefon (0221) 28 02 10. www.ruhrtriennale.de
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