By Markus Kompa
01.06.2009 / Telepolis
Normalerweise liegen Theaterinszenierungen nicht im Themenspektrum von Telepolis. Die aktuelle Uraufführung des politischen Schauspiels "Der Zauberlehrling" des Regie-Kollektivs "Rimini Protokoll" hat jedoch sogar persönlich mit Telepolis zu tun.
"Rimini Protokoll" hat mit dem konventionellen Theater gebrochen. Dieses sei selbstreferentiell und künstlich. Die Gruppe lehnt den Einsatz professioneller Schauspieler ab und arbeitet stattdessen mit sogenannten "Experten des Alltags": Wenn jemand einen Wirtschaftswissenschaftler, Journalisten oder einen Muezzin spielen soll, kann diesen am glaubwürdigsten ein echter Wirtschaftswissenschaftler, Journalist oder Muezzin verkörpern. Und diese Darsteller spielen nicht abstrahierte Fantasierollen eines Dramatikers, sondern sich selbst.
Auch vorgegebene Skripte werden als entbehrlich angesehen: Die Stücke von Rimini Protokoll, die zunächst nur auf einer vagen Idee und ausgiebiger quasi-journalistischer Recherche zu bestimmten Themen basieren, entstehen bei den Proben. Ungleich spannender als die Fiktion ist für "Rimini Protokoll" die Wirklichkeit, die präzise beobachtet und reproduziert wird.
Zu den spektakulärsten Projekten gehörte das Nachspielen einer willkürlich ausgesuchten Bundestagssitzung durch Wähler, welche die Rollen der gewählten Volksvertreter einnahmen. Im April 2009 erklärte "Rimini Protokoll" die nach stets gleichem Ritual ablaufende Hauptversammlung von Daimler zum Theaterstück, gab entsprechend ein Programmheft heraus und versorgte Zuschauer durch abgetretene Stimmrechte mit "Eintrittskarten".
Rimini Protokoll räumt gegenwärtig die bedeutendsten Theaterpreise ( "Faust", Europäischer Theaterpreis 2008) ab, arbeitet an renommierten Häusern und wird konstant auf internationale Festivals eingeladen.
Obwohl - oder vielmehr weil - die "Riminis" dem Theater ihre Liebe entzogen, werden sie vom Theaterbetriebr geliebt.
Beim jüngsten Werk des Labels arbeiteten Helgard Haug und Daniel Wetzel nach dem Prinzip einer Reizwort-Geschichte: Sie brachten die Goethe-Ballade "Der Zauberlehrling" mit der Geschichte von Herdís Sigurgrímsdóttir in Verbindung, die 2007 als "Eine-Frau-Armee Islands" bekannt wurde.
Herdís ist die isländische Antwort auf Lara Croft: Die passionierte Eiskletterin ist Journalistin mit Spezialgebiet Krisenregionen, vornehmlich im Mittleren Osten. Als die vormalige isländische Regierung im Rahmen einer NATO-Trainingsmission im Irak (13) einen Beitrag leisten wollte, konnte ein solcher schwerlich militärisch ausfallen: Island hat nämlich keine Armee.
Man bot jedoch an, irakische Militärs, Beamte und Medien in Sachen Public Relations zu trainieren. Hierzu schickte das isländische Außenministerium die 26jährige Journalistin, die jedoch den Gepflogenheiten der NATO eine Angehörige des Militärs sein musste. Daher stellte man ihr eine norwegische Uniform zur Verfügung, auf die sie die isländische Flagge nähte und beförderte die Zivilistin zur Majorin. Die bislang lediglich mit Charme und Humor bewaffnete Isländerin absolvierte einen dreitägigen Schnellkursus im Schießen. Als eine Art "Commander of the Islandic Forces in Irak" wurde sie nach Bagdad eingeflogen - mangels Armee kommandierte sie sich selbst.
Über Nacht war aus der Zivilistin eine Soldatin geworden, die sich in die militärische Welt der NATO einfügen und fortan in einem Container wohnen musste, wo sie erstaunliche Impressionen und Anekdoten aus der seltsamen Welt der greene zone sammelte. Ihre Anwesenheit im Irak wurde in Island öffentlich erst bekannt, als die neugewählte Regierung die Mission beendete - für die NATO ein harter Schlag.
Als weitere Person in dem Stück sollte - wie es dem Titel entspricht - auch ein Zauberer eine Rolle spielen.
Das Team entschied sich für den knapp 80-jährigen Zauberveteran Günter Klepke, ein Original der Branche. Diese beiden biographisch denkbar ungleichen Personen unterhalten sich im Stück über ihre Kindheit und Erfahrungen mit dem Krieg.
Dabei wurden keine vorgefertigten Texte vorgegeben, denn auch derartiges lehnt Rimini Protokoll als künstlich ab. Stattdessen sollen die Beteiligten bei jeder Aufführung frei formulieren und bei ihrem Part jeweils ungefähre Bandbreiten und ein paar Stichwörter einhalten. Bei den Proben ließ man beide aufeinandertreffen und "protokollierte" mit. Aus diesen Gesprächen und Improvisationen wurde schließlich die Regievorgabe destilliert und in eine Dramaturgie gepuzzelt.
Die Gruppe stieß auch auf einen skurrilen Zauberkünstler, der sich seit Jahren beinahe wissenschaftlich mit Biographien kontroverser Kollegen einerseits, andererseits aber auch mit politischen Geheimnissen, entsprechenden Geheimdiensten und Krieg befasst und wie Rimini Protokoll das Thema "Medienmanipulation" aufmerksam verfolgt: Markus Kompa - mich.
Als ich zum Gespräch nach Berlin eingeladen wurde, war ich davon ausgegangen, dass man an meinen Diensten als tricktechnischer und zauberhistorischer Berater interessiert gewesen war. Meine wohl spleenig wirkende Befassung mit Zusammenhängen von Politik und Täuschungskunst fand man jedoch so interessant, dass nicht meine Storys, sondern ich selber unter Beobachtung stand. Und wie Herdís im Irak fand auch ich mich über Nacht auf einer Probebühne des Schauspielhauses Düsseldorf wieder, welches das Stück mit dem Berliner HAU koproduzierte.
Von meinen Artikeln hatte das Team vor allem der über RYAN-Krise interessiert. Dieser enthielt unter anderem die Geschichte von Stanislav Petrov, der am 26. September 1983 Dienst bei der russischen Satellitenüberwachung Nordamerikas hatte, als der Computer irrtümlich den Start von fünf amerikanischen Interkontinentalraketen meldete. Statt durch unkritische Weitergabe der Falschmeldung einen nuklearen Gegenschlag auszulösen hatte Petrov seinem Instinkt vertraut und möglicherweise einen Dritten Weltkrieg abgewendet. Ein Rimini-Dramaturg flog nach Moskau, machte Petrov ausfindig und gewann ihn dafür, seine Geschichte in dem Stück selbst zu erzählen. Und so kam es, dass ich derzeit mit dem Mann auf einer Bühne stehe, ohne dessen Entscheidung es uns vielleicht heute nicht mehr geben würde.
Da ich selbst an der Inszenierung als eine Art "Co-Autor" für meinen Part beteiligt gewesen war und in der Aufführung die Rolle des "Markus Kompa" spiele, fehlt mir natürlich die gebotene journalistische Distanz, um selbst über das Ergebnis zu schreiben. Ich verweise daher an dieser Stelle auf die Pressestimmen, etwa Deutschlandradio, DPA und Frankfurter Rundschau - nicht ohne Vaterstolz! Und welcher andere Zauberkünstler kann schon behaupten, sich von einer ganzen Armee assistieren zu lassen und diese sogar wegzuzaubern?
Obwohl das Düsseldorfer Schauspielhaus ausgiebig kommuniziert hatte, dass wir vier Darsteller keine professionellen Schauspieler sind, bekomme ich immer wieder Rückmeldungen, dass man uns für eine Inszenierung hält. Manche begreifen daher erst hinterher, dass es sich um die echte Herdís Sigurgrímsdóttir, den echten Günter Klepke, den echten Stanislav Petrov und den echten Markus Kompa handelt. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass wir die "fiktiven" Rollen glaubwürdig verkörpern ... Bei einem Stück über Illusionen und Wirklichkeit ist das nicht das schlechteste Kompliment!