"LANDSITZ PARADIES - EINE POLIZEIKUNSTSCHAU"

Performanceinstallation im Rahmen des Brasilienfestivals des Hebbel-am-Ufer

By Oliver Kranz

30.05.2008 / RBB - Kulturradio am Nachmittag

Anmoderation:
Die brasilianische Polizei hat nicht den besten Ruf. Sie gilt als korrupt, aggressiv und nicht gerade gesetzestreu. Nun wird sie von der Argentinierin Lola Arias und dem Schweizer Stefan Kaegi zum Thema einer Theaterproduktion gemacht. Die Polizisten dürfen dabei selbst auftreten und über ihre Arbeit berichten. "Polizeikunstschau" heißt das Projekt. Gezeigt wird es im Rahmen des Festivals Brasil em Cena in einem ehemaligen Arbeitsamt am Mehringdamm in Kreuzberg. Oliver Kranz sich die Produktion angesehen.


Schritte im Flur
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In Zehnergruppen werden die Zuschauer durch das leerstehende Bürogebäude geleitet. In jedem Raum begegnet man einem Polizisten aus Sao Paulo, der größten und wahrscheinlich gefährlichsten Stadt Lateinamerikas. Isabel Amaro ist Telefonistin in der Notrufzentrale der Militärpolizei.

Isabel + Übersetzerin
(Portugiesisch) - In einer Schicht arbeiten wir mit 100 Kollegen, alle in Uniform und mit Waffe. Wir nehmen alle Anrufe aus Sao Paulo entgegen - portugiesisch - Manchmal verfolgen mich die Stimmen dieser Anrufer bis in den Schlaf …

An einem normalen Arbeitstag nimmt Isabel 600 Anrufe entgegen. Einige davon sind an den Bürowänden protokolliert.

Sprecherin
Ein Mann, der sich Batman nennt, fragt nach der Farbe meines Slips. … Eine Frau ruft an und sagt, dass sie den Kinderentführer im Clownskostüm gesehen hat. … Ein Kind ruft an und sagt, bitte nicht auflegen, das ist kein Scherz, mein Vater bedroht mich und meine Mutter mit einem Messer. …

Isabel wirkt traurig. Im Programmheft kann man nachlesen, dass sie unter Kopfschmerzen und Depressionen leidet. Doch darüber spricht sie nicht. Lieber erzählt sie von ihrer Mitgliedschaft in zwei Samba-Schulen.

Isabel + Übersetzerin
(Portugiesisch) - jetzt tanze ich für euch Samba, so lange, wie sonst ein Anruf dauert.

Musik
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Knapp zehn Minuten dürfen die Zuschauer in jedem Zimmer bleiben. Dann kommt die nächste Gruppe und man wird weiter geschickt. Die Zeit ist also immer knapp. Man möchte Fragen stellen und erhält nicht immer Gelegenheit dazu. Von der Telefonistin geht es zum Streifenpolizisten, von dort zu einem Musiker des Militärorchesters. Und jeder erzählt seine Geschichte. Die junge blonde Inês ist aus Abenteuerlust zur Polizei gegangen. Sie wollte in die Fußstapfen ihres Vaters treten, der ebenfalls Polizist war.

Ines + Übersetzerin
(Portugiesisch) - Im Moment trage ich eine 38er Waffe - (Portugiesisch) - Viele Leute fragen, wie viele Leute ich getötet habe oder ob ich überhaupt schon jemand getötet habe - (Portugiesisch) - Ich sage darüber lieber nichts, weil das würde das Bild ändern, das die Leute von mir haben.

Doch natürlich verändert auch diese Bemerkung das Bild. Die junge Frau, die zuerst nur naiv wirkte, erscheint auf einmal kaltblütig und berechnend. Man kann sie nicht verurteilen, weil man nicht genau erfährt, was sie getan hat. Doch es bleibt ein ungutes Gefühl. Einer ihrer Kollegen gibt an, ein Fotoalbum mit Bildern von 50 Menschen zu besitzen, die er getötet hat. Doch ist er deshalb ein Mörder? Diese Frage kann nicht mal Lola Arias beantworten, die das Projekt gemeinsam mit Stefan Kaegi organisiert hat.

Lola Arias
Übersetzung des englischen O-Tons
Es ist schwer zu sagen, ob sie die Guten sind oder die Bösen. Wir haben die Polizisten ausgesucht, die in der Lage waren, über sich zu reden. Das ist ja nicht einfach vor einem Publikum. … Natürlich sagt keiner, dass er etwas Unrechtes tut. Das würden wir selbst ja auch nicht machen. Die Zuschauer müssen sozusagen zwischen den Zeilen lesen und sich dann ein eigenes Urteil bilden.

Doch gerade das ist nicht einfach. Woher soll man wissen, ob die Polizisten selbstlose Gesetzeshüter sind oder korrupte Verbrecher? Man steht ihnen in der Aufführung zwar Auge in Auge gegenüber und bekommt Fotos präsentiert, die sie bei der Arbeit und im Kreis ihrer Familie zeigen, aber beurteilen kann man sie deshalb noch lange nicht. Den meisten Zuschauern steht am Ende der Aufführung ihr Befremden ins Gesicht geschrieben.

Zuschauerin 1
Ich bin hier ziemlich unvorbereitet rein und … gehe jetzt mit einem merkwürdigen Gefühl nach Hause, weil ich ziemlich viele Geschichten gehört habe, aber gar nicht weiß: soll das Kritik sein oder eine Dokumentation oder haben die Leute das selbst hinterfragt, was sie erlebt haben? Ich gehe also ziemlich ratlos hier raus.

Zuschauerin 2
Das Gefühl der Polizei gegenüber ändert sich nicht, aber wenn man den einzelnen Personen gegenüber tritt, ist das schon ein eigenartiges Gefühl. Wenn man aus dem Raum geht und applaudiert hat, aber eigentlich findet, dass das das letzte Arschloch ist, was einem was erzählt hat, ist das schon ein merkwürdiges Gefühl.

Es sind gemischte Gefühle, mit denen man die Aufführung verlässt. Doch eines ist sicher. Das Erlebte wirkt lange nach.


Absage:
Oliver Kranz über die "Polizeikunstschau", die im Rahmen des Festivals "Brasil em Cena" im ehemaligen Arbeitsamt am Mehringdamm in Kreuzberg zu sehen ist. Die Zuschauer werden in Zehnergruppen eingeteilt, die die Aufführung nacheinander besuchen. Der früheste Einlass ist um 19 Uhr, der letzte um 21 Uhr.

Karten und Informationen gibt es im Hebbel-am-Ufer
Telefon: 259 004-0
www.hebbel-am-ufer.de


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