By Ralf Stiftel
22.08.2017 / Westfälischer Anzeiger
BOCHUM/ESSEN - Im Dunkel blitzen auf Leinwänden die markanten Ansichten des Ruhrgebiets auf: Eine Brücke mit mächtigen Stahlträgern. Eine staubige Brache, auf der nicht mal Unkraut wächst. Immer wieder Autobahnen. Ein Industriegelände, auf dem Bagger irgendetwas auf Lkw schütten. Eine Tankstelle in Dortmund. Die Frau im Kopfhörer sagt: „Hier sind Sie also. In einem Truck und sehen auf eine Tankstelle...“
Ein Jahr lang hat das Projekt „Truck Tracks Ruhr“ das Revier erkundet. Bei dem Projekt, das die Theatermacher von Rimini Protokoll für die Urbanen Künste Ruhr entwickelten, fuhren die Teilnehmer im Laderaum eines Trucks an markante Orte. Dann öffneten sich Jalousien, die Leute guckten. Dazu gab es eingespielten Text, kleine Hörspiele, die mal den Anblick ergänzen, mal einen krassen Kontrast bildeten.
Jetzt gibt es eine Bilanz des Projekts, sozusagen alle Truck Tracks auf einen Schlag. In der Kokerei von Zeche Zollverein Essen läuft als Videoinstallation bei der Ruhrtriennale „Truck Tracks Ruhr – the Compilation“. Sieben Leinwände zeigen jeweils eine der sieben Touren, hier Recklinghausen, da Bochum. In der abgedunkelten Kokerei-Halle schafft Technomusik einen beunruhigenden Klangraum. Vor jeder Leinwand sind Sitzgelegenheiten, man nimmt einen Kopfhörer, und erlebt nun die Umsetzung der Touren durch die Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken.
Es sind faszinierende Geschichten zu erleben: Vor einem China-Restaurant in Oberhausen spielt Martin Kindervater seltsam echt klingende Nachrichten über eine Verlängerung der Seidenstraße von China bis ins Ruhrgebiet ein. Erschreckend aktuell ist Ersan Mondtags Stück „Frei-Bad“ aus Recklinghausen: Zu Bildern vom unbeschwerten Badebetrieb spielt er das Donnern einer Explosion ein und Schüsse. Eine irritierende Diskrepanz.
In den letzten Jahren hatte die Ruhrtriennale, die gestern abend in Bochum mit der Premiere der Oper „Pelleas et Mélisande“ von Claude Debussy eröffnet wurde, verstärkt auf Kunstinstallationen gesetzt. Hier konnten die Besucher in den Industrieräumen spektakuläre Bildschöpfungen erleben wie das „test pattern“ des japanischen Künstlers Ryoji Ikeda 2013 oder Julian Rosefeldts Video-Inszenierung „Manifesto“ mit Hollywood-Star Cate Blanchett im letzten Jahr. Eigentlich sollte es auch in diesem Jahr einen Beitrag des deutschen Künstlers laufen. Aber „Euphoria“ wurde abgesagt: Der Erfolg von „Manifesto“ ließ Rosefeldt keine Zeit für die neue Arbeit.
Aber die letzte Ausgabe der Ruhrtriennale unter Leitung von Johan Simons ist nicht ohne Kunst. Alljährlich wird vor der Jahrhunderthalle das skurrile Kunstdorf „The Good, the Bad and the Ugly“ des Rotterdamer Künstlers Joep van Lieshout aufgebaut. Da kann man sich in der „BarRectum“ treffen, einer Hütte, die dem stark vergrößerten menschlichen Verdauungstrakt nachgebildet ist. Joep van Lieshout sieht sich als Vertreter eines Crypto-Futurismus, und seine aktuelle Arbeit „The End of Everything“ zeigt, dass auch der menschliche Fortschritt nicht ewig währt. Und so erlebt man in einer Hütte Waschmaschinen und andere Geräte, die in einer Schrottpresse landen. Aus den Überresten erstellt van Lieshout neue Werke, von denen einige im Foyer der Jahrhunderthalle zu sehen sind, zum Beispiel „Calgon“, eine Stele aus Waschtrommeln. Zudem erklingt ein mächtiges Ensemble aus fünf Nebelhörnern. Der Künstler verspricht, dass man die tiefen Töne in ganz Bochum hören wird.
An der Kopfseite der Jahrhunderthalle leuchtet zudem ganztägig der Schriftzug „Europa“. Das von Caro Baumann und Johannes Schale initiierte Projekt aus 33 Neonröhren ist durch Spenden finanziert und passt zur weltoffenen, politisch ausgerichteten Ruhrtriennale. Angesichts der vielen Fragen, die Europa aufwerfe, symbolisiere der monumentale Schriftzug die Freude über Europa und rege zum Nachdenken an, sagt Dorothea Neweling, Dramaturgin der Ruhrtriennale.