By Tom Mustroph
26.03.2012 / neues deutschland
Nigeria ist ein Land des Booms und ein Land der Krise gleichermaßen. Diese Gegensätze haben die Theatermacher von Rimini Protokoll angezogen. Die Produktion »Lagos Business Angels« (ab 25. 3. im HAU 1) verspricht eine Provokation weit über die Grenzen des Theaters hinaus. Mit der Gruppe sprach TOM MUSTROPH.
nd: Wieso Lagos? Was hat euch an der Nigerianischen Hauptstadt interessiert?
Helgard Haug: Nigeria - mit der Wirtschaftsmetropole Lagos - ist vor allem hinsichtlich seines Potenzials spannend. Es ist mit 158 Millionen Menschen das bevölkerungsstärkste Land Westafrikas. Durch seine Ölreserven ist es unglaublich reich und hat dennoch mehr als 100 Millionen Menschen, die mit weniger als einen Dollar pro Tag auskommen müssen. Diese Kluft ist extrem und erzeugt eine unglaubliche Spannung, die auch dazu führt, dass Business und Geschäftemacherei an oberster Stelle stehen.
Die Menschen, die wir getroffen haben, waren sehr kreativ, immer neue Geschäftsideen zu verfolgen. Auch weil es keinerlei staatliche Hilfe gibt. Nur ein familiäres Netzwerk schützt den Einzelnen davor, völlig unterzugehen. Uns hat interessiert, mit diesem Potenzial zu arbeiten und daraus eine Art Gegenbild für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Diskussion in Europa abzuleiten.
Hier bindet das Individuum seine Hoffnungen an den Staat, Wachstumsprognosen werden nicht mehr vertraut. Laut Prognosen wird Nigeria 2050 dort stehen, wo Deutschland heute ist. Dieses Szenario bedingt ja vor allem erst mal eine Korrektur des typischen Afrika-Bildes als abhängiges, unterentwickeltes und hilfsbedürftiges Land.
Wer profitiert eurer Erfahrung nach vom Boom dort - die ausländischen Unternehmen, eine neue einheimische Businessschicht oder in einer Art Wohlstandsfahrstuhl die gesamte nigerianische Gesellschaft?
Stefan Kaegi: Einer der größten Arbeitgeber in Nigeria ist das ursprünglich deutsche Bauunternehmen Julius Berger, das mittlerweile mehrheitlich in nigerianischer Hand ist. Berger hat einen Großteil der Straßen in der Hauptstadt Abuja und allerlei Infrastruktur in der Ölfördergegend im Nigerdelta gebaut. Insbesondere während der Militärdiktatur war das kein sehr sauberes Geschäft. In einzelnen Fällen wurden die Bestechungsfälle angezeigt und man einigte sich schnell außergerichtlich, um das Unternehmen nicht zu beflecken. Aber natürlich profitiert, wie überall wo Erdöl gefördert wird, vorwiegend die Oberschicht von der Ausbeutung der Ressourcen. Daneben lässt die Regierung eine einst blühende Landwirtschaft verkommen. Gleichzeitig sprießen in der Business-Hauptstadt Lagos neue Geschäftszweige: Filmindustrie, Fashion und Immobilien sind die glamourösesten Bereiche davon.
Wie lässt sich die neue Schicht von Geschäftsleuten charakterisieren? Wie unterscheiden sie sich vor allem von westlichen Geschäftsleuten?
Helgard Haug: Der Unterschied ist vor allem eine Haltungsfrage. Es gibt einfach nicht so viel Klagen und Frust, sondern eine Art sportliches Antreten in den Kampf ums Überleben.
Was macht eure Protagonisten interessant für ein Bühnenspektakel?
Helgard Haug: Es ist vor allem ein Gedankenmodell - die Frage, ob die Beziehung zwischen Europa und Afrika nicht auch mal umgedreht gedacht werden kann. Das hat uns dazu geführt eine Art Messe zu veranstalten bei der kleinere Zuschauergruppen auf Geschäftsleute aus Nigeria, oder solchen, die bereits mit Nigeria in Geschäftsbeziehungen stehen, treffen, um sich von diesen beraten und coachen zu lassen - auch um ganz konkret Geschäftsmodelle zu entwickeln. Nicht Europa bringt Entwicklungshilfe nach Afrika, sondern wir werden in die Position versetzt, in der wir beraten werden.