By Wolfgang Koch, Bonn
15.03.2002 / Stuttgarter Zeitung
Im ehemaligen Parlament will eine Theatergruppe eine Bundestagsdebatte nachstellen. Doch der Berliner Wolfgang Thierse ist damit gar nicht einverstanden.
Der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sorgt sich um die Würde des Parlaments. Er will keine unwürdigen Veranstaltungen im Hohen Haus erlauben, auch wenn es sich dabei nicht um das Reichstagsgebäude in Berlin, sondern den
Behnisch-Bau in Bonn handelt. Thierse lässt kein Theater im ehemaligen Plenarsaal am Rhein zu. Er macht von seinem Recht als Hausherr Gebrauch und
widerspricht dem Plan, im Rahmen des Festivals "Theater der Welt" eine Bundestagsdebatte als Kunstveranstaltung im früheren Plenarsaal nachzustellen. Dabei soll das Volk die Parlamentarier vertreten und eine Berliner Debatte reproduzieren. 669 Bürger würden den Worten der Abgeordneten im Berliner Reichstag per Übertragung lauschen und sie im Bonn Plenarsaal nachsprechen.
Das sei keine Satire, sondern seriöses Theater, sagt Manfred Beilharz, der künstlerische Leiter des Festivals. Thierse habe das Projekt nicht ernsthaft geprüft, bemängelt der Festivaldirektor Matthias Lilienthal. Es sei Werbung für die Demokratie, außerdem beteiligten sich daran rechtschaffene Bürger. Noch hofft Lilienthal auf Besinnung beim Präsidenten. Thierse wäre schlecht beraten, wenn er bei seinem Widerspruch bliebe. Dann könnte man ihm vorwerfen, er messe mit zweierlei Maß und nehme es mit dem Hüten der Parlamentswürde nicht so genau.
In Bonn hat es nämlich nach dem Umzug der Parlamentarier längst eine "Bundestagssitzung" gegeben, nicht als Kunstperformance, sondern als Firmenveranstaltung: Vor zwei Jahren leitete dort die Fernsehmoderatorin Sabine Christiansen eine "Debatte" und eine "Aktuelle Stunde". Dabei rief sie Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Ordnung, der sich mit einer Cohiba-Zigarre am Rednerpult flegelte. Drinnen, vor Bundesadler und Fahne, erteilte "Frau Präsidentin" das Wort an die "Abgeordneten" und ließ den "Bundesminister für Technologie", den "Bundeswirtschaftsminister" und den "Innenminister" auf große und kleine Anfragen antworten.
Es ging dabei um die Probleme auf dem Strommarkt. Zu ihrer Erörterung waren aber nicht Regierung und Parlament aus Berlin zurückgekehrt. Vielmehr hatte
der Stromkonzern RWE Vertreter von Stadtwerken und regionalen Versorgungsunternehmen in den ehemaligen Plenarsaal eingeladen. Ein Kabarettist mimte die politische Prominenz. Frau Christiansen war echt, die Saaldiener mit Frack und weißen Handschuhen falsch.
Wolfgang Thierse hatte keinen Widerspruch dagegen erhoben. Klamauk geht also im Bonner Bundestag, Kunst aber offenbar nicht. Eigentlich müsste es
umgekehrt sein. Noch ist die Chance nicht vertan.