Ist das noch Theater?

Radio-text

By Ellinor Landmann

03.04.2008 / Schweizer Radio DRS2: DRS2aktuell

Theater ohne Publikumsreihen - Eine Privatvorstellung für nur einen Zuschauer, eine Zuschauerin. Das bietet derzeit das Regiekollektiv "Rimini Protokoll" am Schauspielhaus Zürich. Allerdings kann sich dieser eine Zuschauer, diese eine Zuschauerin nicht nur aufs Zuschauen verlegen. Bei "Call Cutta In A Box" - werden die Zuschauer zu Akteuren - und Ellinor Landmann hat mitgespielt

Ein interkontinentales Telefonstück ist angekündigt. Und kaum eingetreten in ein Büro Im Ringier Pressehaus klingelt es auch schon, das Telefon:

[Audio: klingeln hallo 00:00:10, was]

Am anderen Ende der Leitung ist Islam Mohammed. Er sitzt in Indien, Kalkutta; ich in Zürich. Und er weiss mehr über mich, als ich über ihn. Islam kennt meinen Namen, er kennt das Büro, in dem ich bin, stellt das Licht an. Unerklärlich ferngesteuert gehen elektrische Geräte an, die Musikanlage, ein Wasserkocher. Islam kocht Tee für mich und sagt, "Leg Dich doch auf's Sofa!" Ich tu's und wir plaudern. - Wie kamst du in's Büro, wie ist das Wetter, was siehst Du, wenn Du aus dem Fenster guckst??? - Kalkutta und Zürich haben nicht viel gemeinsam, das finden wir schnell heraus. Doch Fragen zum Stück, das wir hier spielen, sind tabu. Dafür weiss ich jetzt, wann Islam Geburtstag hat, und, dass er frisch verheiratet ist. Das Gespräch wird persönlich:

[Audio: alter/krankheiten (1), 00:00:14,23]

Das Regiekollektiv "Rimini Protokoll" hat "Call Cutta In A Box", das interkontinentale Telefonstück, mit 24 Call Center-Mitarbeitern in Indien erarbeitet. Sie sprechen Deutsch oder Englisch und zeitgleich mit Zürich geht das Stück auch in Mannheim und Berlin an den Start. Aber ist das eigentlich ein Stück? "Rimini Protokoll" haben sich einen Namen gemacht mit Theater-Experimenten, mit Expertenstücken, wo Nicht-Schauspieler auf der Bühne stehen, Auskunft geben über ihr Fachgebiet.
Auch bei "Call Cutta In A Box" gibt es keine Schauspieler, die Call Center-Mitarbeiter und die Zuschauer spielen die Hauptrollen. Sie haben es in der Hand, aus der Situation etwas zu machen. Das ist Mitmach-Theater ohne Peinlichkeit. Denn zuschauen tut ja keiner.
Vor einigen Jahren lancierten "Rimini Protokoll" einen Vorgänger zu diesem Projekt: da lotsten indische Call Center-Mitarbeiter Menschen per handy durch Berlin. Die Globalisierung bekam eine Stimme. Und nun verwickelt uns diese Stimme in ein Gespräch. Und dieses wechselt den Ton. Teils ist es Plauderei, teils ein Bewerbungsgespräch und teils wirkt es, als wolle mir Islam etwas verkaufen. Nett ist mein Gesprächspartner, er lacht, aber er zieht die Fäden, er setzt die Themen. Es gibt einen Plan, eine festen Ablauf. Und dazwischen meistern wir gemeinsam technische Pannen, das verbindet.

[Audio: panne , 00:00:05,30]

Ungewiss bleibt, was an dem Gespräch echt ist: Passieren Pannen wirklich oder sind sie Teil des Stücks? Stimmt es, was Islam mir erzählt? Stimmt es, was ich erzähle? Sind die Bilder, die er mir faxt, echt? - Es gibt keine endgültigen Antworten. Aber es gibt die Möglichkeit ihnen 50 Minuten lang im Gespräch auf der Spur zu sein. Und das ist spannend genug.

"Call Cutta in a Box" vom Regiekollektiv "Rimini Protokoll" läuft täglich bis Ende April in Zürich. Karten für das Telefonstück müssen beim Schauspielhaus im Vorverkauf bestellt werden. Im Juni ist "Call Cutta in a Box" dann für einen weiteren Monat zu Gast in Zürich.

Hören Sie den Beitrag unter:

www.drs2.ch/www/de/drs2/sendungen/drs2aktuell/2643.bt10027244.html


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Call Cutta in a Box