Inszenierung des Monats: "Physik" von Hygiene Heute

By Ruth Fühner

21.01.2003 / HR 2, Hessischer Rundfunk

Unsere Inszenierung des Monats von der Gruppe "Hygiene Heute" ist eine Produktion des Frankfurter Mousonturms. Sie heisst "Physik" und erteilt durchaus lustvoll Nachhilfeunterricht einem Schulfach, mit dem ich zumindest abgeschlossen hatte, als mir der Unterschied zwischen zentrifugal und zentripetal nicht einleuchten wollte. Den erklärt auch "Hygiene Heute" nicht, aber dass das, was die Spucke aus dem Schnürboden auf den Boden zieht, die Schwerkraft ist, leuchtet unmittelbar ein. Die Chaostheorie wiederum wurde noch nie anschaulicher belegt als mit dem unberechenbar schwingenden Pendel einer ansonsten ziemlich simplen Holzkonstruktion. Weiterhin treten auf: Raketen aus Pet-Flaschen und Zeppeline aus Müllsäcken, und zwei Föne übernehmen gleich eine Doppelrolle: das eine mal tanzen auf ihrem Luftstrom weisse Bälle, das andere Mal dienen sie zum Aufheizen eines Thermometers und somit zur Fälschung physikalischer Daten. Womit wir bei einem Generalbass der Inszenierung wären — der steilen Karriere des kürzlich enttarnten Jan Hendrik Schön, dessen gefälschte Forschungsergebnisse für einigen Wirbel in der feinen scientific community sorgten. Vor allem aber geht es "Hygiene Heute" ganz grundsätzlich um das Verhältnis von Physik und Theater. Nichts hätten die beiden miteinander zu tun, sagt ein echter Physiker in einem Filminterview, das nicht auf einer Leinwand, sondern auf einem wirbelnd kreisenden Band erscheint. "Hygiene Heute" widerlegt dieses Urteil. Die beiden Protagonisten dieses wahrhaft experimentellen Theaters setzen nicht nur ihre eigene Körperlichkeit im Dienste der Physik ein — der eine seine schlaksige Beweglichkeit, der andere die träge Masse seiner Kugelform. Sie entfalten auch so viel kindlichen Spielwitz in ihren Experimenten, dass man sich an dieser Art von Physik nicht satt sehen kann. Nächste Gelegenheit dazu ist im kommenden September in Rotterdam.


Projects

Physik