By FAZ (emm.)
28.01.2006 / Frankfurter Allgemeine Zeitung
Rene hat früher Amerika gebaut. Mittlerweile macht er das Berner Oberland und das Wallis. Dorthin fahren heute indische Regisseure, um Bollywood-Filme zu drehen. Weil die Alpen so aussehen wie die krisengeschüttelte Kaschmirregion. Hermann, der als Schreiner so viele Bäume zu Möbeln verarbeitet hat, bastelt heute am liebsten welche. Heidy baut literarische Welten. Und Max schneidet in Kokosmatten jene angeblich von Außerirdischen angelegten "Kornkreise", mit denen Schweizer Bauern heutzutage den Verdienstausfall in der subventionierten Landwirtschaft mit Hilfe esoterischer Städter kompensieren. Ein solcher Kornkreis liegt jetzt neben dem Elternhaus von Rahel. Als sie klein war, hatten die Eltern Tiere. Heute vermieten sie Baumaschinen, und die Tochter ist Schauspielerin am Basler Theater.
Für Stefan Kaegis dortige Produktion "Mnemopark – eine Modelleisenbahnwelt" ist auch Rahels Elternhaus samt Kühen entstanden, wie alles, was links und rechts von 37 Metern Schienenstrecke zu sehen ist, im Maßstab 1:87 nachgebaut.
Nun ist "Mnemopark" im Frankfurter Mousonturm zu sehen. Die vier Mitglieder des Clubs Modulbau-Freunde Basel, etwa siebzig dürften sie sein, erzählen aus ihrem Leben, erinnern sich in "Flashbacks" an prägende Episoden aus ihrer Jugend und erklären ihre selbstgebastelte Miniaturwelt, in der alles angelegt ist, was die große ausmacht: Die kleine Lok mit Kamera, die im Kreis mal vorwärts, mal rückwärts fährt, macht sie auf der Leinwand zu einer Art Wirklichkeit: die Wohnhäuser der Protagonisten, einen Golfplatz, dessen Rasen ehemalige Bauern pflegen und auch den Schweizer Fleischberg (bedeckt von echter Wurst), der immer noch ein Zwerg ist gegen den deutschen Butterberg.
"Mnemopark" hat im November vergangenen Jahres den Preis des "6. Festivals Politik im Freien Theater" erhalten. Nicht, daß darin Parolen zu hören wären. Wie in vielen der dokumentarischen Theaterarbeiten, die Kaegi seit gut fünf Jahren in immer rascherer Folge unter dem Label "Rimini Protokoll" mit Helgard Haug und Daniel Wetzel inszeniert, geht es auch in "Mnemopark" darum, in den Erinnerungen und Lebensschilderungen einzelner größere Zusammenhänge sichtbar zu machen. Doch Kaegi will mehr: Es geht ihm um das Ganze, dessen absurde - oft auch: perverse - Seiten vorgeführt werden. In dem von Statistiken strotzenden Text, den Rahel Hubacher als Moderatorin zwischen den verschiedenen Exkursen und Spielen der vier Protagonisten verliest. In echten Filmausschnitten und sogar in der Geschichte eines Bollywood-Films, dessen Miniaturpersonal die vier Modellbauer immer wieder auftreten lassen.
Gerade deshalb wirkt "Mnemopark" oft, als werde die kleine Welt, die schon von sich aus soviel zeigt, überfrachtet. Nichtsdestotrotz ist ein ebenso unterhaltsamer wie anregender Theaterabend zu sehen. (emm.)
Text: F.A.Z., 28.01.2006, Nr. 24 / Seite 62