Heuschrecken
Projekt von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll)
By Frank Dietschreit
01.04.2010 / RBB Kulturradio
Wenn Heuschrecken sich zu riesigen Schwärmen verbinden, werden zu sie einer Plage von biblischen Ausmaßen. Als Heuschrecken werden auch, in Zeiten des globalisierten Kapitalismus, Finanzinvestoren tituliert, die Wirtschaftsbetriebe profitabel ausplündern, bevor sie weiterziehen. Heuschrecken heißt jetzt auch ein Theater-Abend der Gruppe Rimini Protokoll. Das Theaterkollektiv von Helgard Haug, Daniel Wetzel und Stefan Kaegi ist dafür bekannt, dass in ihren Inszenierungen nicht Schauspieler, sondern "Spezialisten des Alltags" auf der Bühne stehen und von ihren Erfahrungen und Erlebnissen berichten. Das kann genauso gut ein deutscher Bundeswehrgeneral sein wie ein ägyptischer Muezzin.
Im HAU bevölkern diesmal ungewöhnliche "Spezialisten des Alltags" die Bühne.
Und überraschend viele, nämlich ungefähr achttausend, denn Stefan Kaegi bringt keine Finanzhaie und keine Hedgefond-Heuschrecken auf die Bühne, sondern nähert sich dem Thema und dem Begriff zunächst nicht politisch und ökonomisch, sondern von der biologisch-naturwissenschaftlichen Seite: also hat er einen riesigen Schwarm afrikanischer Wander-Heuschrecken ins Theater verfrachtet.
Diese possierlichen Tierchen leben in einem treibhausähnlichen, vierzehn Meter langen und vier Meter breiten Terrarium, das wie ein Gewächshaus mit Wüstenambiente aussieht und sich durch den kleinen Theater-Raum schlängelt. Die Zuschauer können mit Hilfe von Video-Live-Bildern aus dem Inneren des Terrariums beobachten, wie die Heuschrecken innerhalb von 90 Minuten ihren Lebensraum leer fressen, sich paaren und mit ihren schützenden Chitinpanzern und anpassungsfähigem Organismus zum Gewinner der Evolution und der Zukunft werden: Denn wenn der Mensch schon längst von Klimawandel und Wasserarmut dahingerafft sein wird, werden die Heuschrecken noch immer auf der Erde ihr gefräßiges Unwesen treiben.
Auch ein paar Menschen stehen auf der Bühne, zum Beispiel Lara Körte, sie ist eine Art Prophetin und Protokollantin des Abends, berichtet von den Heuschrecken als apokalyptische Heimsuchung der Menschheit, liest aus "Logbucheinträgen", in denen die verschiedenen Phasen des Projekts und des Abends festgehalten sind. Ferner gibt es den Insektenforscher Jörg Samietz, der davon berichtet, wie robust und effizient die Heuschrecken seit Jahrmillionen sind und auch in Zukunft sein werden. Außerdem die Astrophysikerin Barbara Burtscher und den aus Somalia stammenden und heute in der Schweiz lebenden Chemiker Zakaria Farah, der erklärt, wie Nomaden und Heuschrecken sich in Afrika den Lebensraum teilen.
Schließlich noch den Musiker Bo Wiget, der mit seinen Celloklängen eine atmosphärisch aufgeladene Tonspur legt.
Über die Lebens-, Liebes- und Fressgewohnheiten, über den Kannibalismus und die Migration der Heuschrecken lernt der Zuschauer eine ganze Menge, über den Zusammenhang zwischen Naturwissenschaft, Ökonomie und Ökologie dagegen nicht besonders viel, denn es ist ein amüsanter Abend, angesiedelt zwischen Volkshochschule und Performance, Infotainment und Comedy-Show, ein Abend, der alles, was wir ohnehin über Welthunger und Klimakatastrophe und Globalisierung wissen, aufwärmt und am Beispiel der Heuschrecken unterhaltsam darlegt.
Der Abend unterscheidet sich von den bisherigen Rimini-Projekten, nicht nur wegen der leibhaftigen Heuschreckenplage im riesigen Terrarium, sondern weil die Realitätsgebundenheit und die Wissenschaftlichkeit diesmal zwar behauptet, aber zugleich mit viel Ironie und Satire unterlaufen wird. Die Laborsituation, wo alles Leben beobachtet, gefilmt und kommentiert wird, ist ungemein aufwendig, aber doch auch kurios und komisch. Wenn der Musiker ein Liebeslied für paarungswillige Heuschrecken anstimmt, wenn der Insektenforscher mit den Huschrecken redet und sie animiert, auf eine Zither zu springen und Töne zu erzeugen, wenn die Astrophysikerin mit einem NASA-Astronautenanzug bekleidet in das Terrarium steigt, dabei über Wasservorkommen auf dem Mars spricht und die Menschen auffordert, über einen Planetenwechsel nachzudenken, wird das ganze doch auch ein bisschen absurd und lächerlich. Die Heuschrecken-Installation wirkt wie eine selbstironische Parodie auf die sonst so ernsten und wissenschaftlich fundierten Rimini-Projekte: selten wurde bei einem Rimini-Abend so viel gelacht.
Projects
Heuschrecken (Locusts)