By Frank Dietschreit
02.02.2008 / RBB Kultur, Kulturauslese
Das von Eugen Robert gegründete und von Architekt Oskar Kaufmann gebaute Hebbel-Theater feierte, wenn auch mit drei Tagen Verspätung, seinen 100. Geburtstag. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit war unter den Rednern genauso zu finden wie die ehemalige Intendantin Nele Hertling und der derzeitige Theaterleiter Matthias Lilienthal. Der nutzte die Chance, dem Promi-Publikum das immer noch etwas anrüchige HAU-Konzept vorzustellen. Klaus Wowereit und Nele Hertling durchschritten in ihren Reden noch einmal die schwierige Geschichte des Hebbel-Theaters, die immer mit der schwierigen Geschichte Berlins verbunden war: Eine kleine Lehrstunde über den Zusammenhang von Politik und Kultur.
Im Zentrum der Feier stand das neue Projekt von Rimini Protokoll. Der Titel 100 Prozent Berlin meint aber nicht, dass die sonst so kritischen Köpfe von Rimini Protokoll plötzlich alles klasse und Berlin 100-prozentig toll finden. Im Gegenteil: Der Titel enthält keinerlei Wertung oder Meinung, er will sogar total neutral und statistisch korrekt sein. Denn die Idee ist, dass 100 Berliner auf der Bühne erscheinen, die Berlin, statistisch gesehen, 100-prozentig repräsentieren. So stehen junge und alte Berliner auf der Bühne, ledige, verheiratete und geschiedene Berliner, Jungs und Mädchen, Frauen und Männer, schwule, lesbische, bisexuelle Berliner, Hobbyangler, Gärtner, Professoren, Arbeitslose, Ärzte, eben Menschen aus allen Berufsgruppen und sozialen Herkünften, die wiederum aus allen Berliner Stadtteilen kommen. Auch ein vor wenigen Tagen geborenes, in den Armen der Mutter liegendes Baby war dabei.
Die 100 Menschen auf der Bühne werden immer wieder neu arrangiert und sortiert, es entstehen immer wieder neue Gruppenbilder. Jeder stellt sich kurz vor, jeder hat etwas dabei, einen Hund, ein Handy, ein Hertha-Shirt, und erklärt, warum dieses Mitbringsel typisch für ihn ist. Unterm Bühnenhimmel hängt ein Kamera, filmt die Menschen-Gruppierungen und wirft das Bild auf mehrere, für Darsteller und Publikum einsehbare Leinwände.
Immer neue Choreografien entstehen, weil die Menschen sich ständig neu entscheiden müssen, ob sie nach rechts oder nach links gehen wollen, denn jeder Gang nach rechts oder links, jede Bewegung ist eine Antwort auf Fragen wie: Wer ist nach 1989 von Ost- nach Westberlin gezogen, wer ist in der Kirche, wer ist politisch aktiv, wer hat Verständnis für den BVG-Streik, wer wurde schon einmal Opfer von Gewalt, wer singt in einem Chor, wer will in Berlin beerdigt werden usw. Das ergibt ein wirkliches Bild der Menschen in der Stadt: Was denken, wie fühlen, wie leben die Berliner. Zwischendurch erzählen einzelne Menschen kleine Geschichten aus ihrem Leben und spielt eine Musik-Gruppe wunderbare Lieder und eine Hommage an Berlin, diese graue Stadt und süße Metropole.
Mit '100 Jahre Hebbel-Theater' hat das zwar nichts zu tun, aber es ist trotzdem eine tolle Idee, eine intelligente Inszenierung und ein komischer und unterhaltsamer Abend. Wenn 100 Berliner auf mindestens 100 Fragen antworten, durch ja und nein, durch Bewegungen nach rechts und links oder durch das Hochhalten von Farbtafeln, wird Berlin und seine oft so patzigen und bollernden Bewohner richtig sympathisch.
Eine vorwitzige Art von choreografischem Theater: Ein Besuch lohnt sich unbedingt.
Kulturradio am Morgen