By Klas Libuda
21.06.2016 / RP Online
Die Theatergruppe Rimini Protokoll erzählt in den FFT-Kammerspielen Fluchtgeschichten. Und das Publikum wird Teil des Spiels.
Zuletzt applaudieren alle, aber niemand weiß genau, warum, oder wem nun eigentlich dieser Applaus gilt. Es war nämlich so, dass "Evros Walk Water" 70 Minuten lang ohne Schauspieler auskam, ohne irgendeinen Theatermacher, ohne Guckkasten, ohne Vorhang und ohne Verbeugung; zwar mit Bühne, aber auf der stand das Publikum.
Dieses Stück war als Neuinszenierung von John Cages Avantgarde-Komposition "Water Walk" angekündigt, die er 1960 mit Haushaltsgeräten in einer amerikanischen Fernsehshow vorgespielt hatte. Da zappelte ein Plastikfisch auf den Klaviersaiten, und im Topf zischte kochendes Wasser. Im Zentrum stand eine Badewanne - in den FFT-Kammerspielen steht ein Schlauchboot im Mittelpunkt, und drumherum gibt es 24 Stationen mit Kopfhörern, über die afghanische, syrische und irakische Neun- bis 17-Jährige von ihrer Flucht erzählen, über den Evros bis Athen. Sie können nicht nach Düsseldorf kommen, sagen sie, darum bitten sie nun das Theaterpublikum, ihr Cage-Stück nachzuspielen. Auf der Bühne stehen wie bei Cage recht gewöhnliche Gegenstände: eine Blumenvase und ein Rennwagen-Modell zum Beispiel.
Nun beginnt also das Spiel, alles scheint mit allem zu korrespondieren, ein Junge erzählt an Station 19, wie er als Kind in Pakistan eine Waffe trug, und gegenüber nimmt in diesem Moment eine Zuschauerin eine Spielzeugwaffe in die Hand und schießt in die Luft. Die Ketten ein paar Meter weiter erinnern indes an die Asylhaft in Griechenland. Jemand lässt sie rasseln - die Anweisungen kommen über die Kopfhörer, jede Bewegung ist sekündlich abgestimmt. "Evros Walk Water" ist eine komplexe begehbare doku-theatralische Hörspiel-Installation, die sich den Zuschauern in aller Leichtigkeit erschließt, weil diese die Fluchtgeschichten unmittelbar vorgeführt bekommen und Teil des Spiels werden. Das ist so gut gemacht, dass es einem erst später auffällt, wie viel Mühe es gekostet haben muss, dies alles aufeinander abzustimmen; und noch viel besser ist, dass die Theatermacher aufs ganz große Drama und aufs Belehrende verzichtet haben. Zwischendurch erzählen die geflüchteten Jugendlichen von Videospielen und lassen ihre Lieblings-Rapsongs anspielen; sie schimpfen und beleidigen einander, einer sagt, als ihm sonst nichts mehr einfällt: "Ich ficke dein Afrika" - das ist genau der unbedachte Schwachsinn, den jeder Heranwachsende irgendwann einmal ablässt. Es steht der Mensch im Mittelpunkt, und das ist, was man im Kopf behalten sollte.