By URS BUGMANN
26.01.2002 / Neue Luzerner Zeitung
Fünf Knaben aus Luzern schiessen und spielen im UG des Luzerner Theaters: Eine Entdeckungsreise mit jugendlichen Experten durch Mythen, Medien und Rollen.
Sie stellen sich vor, jeder mit seiner kleinen Kämpferfigur samt entsprechender Waffe: ein giftiger Dolch, eine Brille mit dem bösen Laserblick, ein Flammenwerfer, ein Pustesack, der die Luft in tödliche Energie verwandelt, Schwert und Pistole. «Shooting Bourbaki» heisst ihr Spiel, Valentin, Thomas, Diego, Ahmed und Adrian sind Experten. Denn Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel inszenieren ihre Theaterprojekte als Feldforschung, ihr Forschungsobjekt sind Verhaltensweisen, Träume und Fantasien der Schauspieler, das Stück ist ein Abenteuer, das die Zuschauer mitnimmt auf eine Entdeckungsfahrt.
Die fünf Knaben spielen sich selbst. Sie erzählen, wie ihr Zimmer aussieht. Bei Adrian hängt nur ein einziges Poster an der Tür: Marilyn Manson. Seine Musik hämmert lautstark in den Raum, mit tiefer Bassstimme zitiert Adrian den Text: «There?s something you don?t understand.» Thomas führt die Zuschauer durch das Haus: zwei Schritte nach links, eine Drehung nach rechts, eine Marmortreppe hinunter, eine Türe mit dem grossen Glasfenster öffnen, wieder ein paar Schritte, ein paar Drehungen, bis wir vor dem weissen Schrank stehen, in dem der Karabiner des Grossvaters steht und das Sturmgewehr des Vaters.
Kämpfen und Einstecken
Der Spielort, das UG des Luzerner Theaters, war einmal der Schiesskeller der Polizei, jetzt schiessen die Polizisten nebenan, die fünf Knaben haben es sich angesehen und das Schiessen ausprobiert. Jeder erzählt, wie das war, die Angst vor dem Rückstoss, der Treffer. Einer hat das Ziel verfehlt. Geschossen wurde auch im verschneiten Wald, Diego erzählt von seinem Paint-Ball-Kampf und von den kalten Füssen, das Video verfolgt ihn auf seiner Pirsch zwischen den Stämmen. Undeutlich ist zu sehen, wie er lauert, zielt, schiesst.
Dann rangeln die Buben miteinander, werfen sich gegenseitig auf die Matratze, die eben noch als Videoleinwand gedient hat, Adrian lässt sich in die Nieren treten, fällt zu Boden, rappelt sich wieder auf - ein Kämpfer muss einstecken können. Ahmed erzählt, wie der Waffenhändler in seinem Geschäft schräg gegenüber erschossen wurde, wie der Täter erst zu Fuss floh, dann mit dem Bus Richtung Bourbaki-Panorama weiterfuhr. Berichtet er? Erfindet er? Diego mag die Hip-Hop-Musik von Cypress Hill, er hat ihr Album zu Weihnachten erhalten und spielt davon ein Stück ab.
Rollenmuster
«Shooting Bourbaki» ist ein Stück mit offenen Rändern und mit einer Mitte, die sich der Fixierung ebenso entzieht. Es geht ums Schiessen und es geht ums Bourbaki-Panorama, die Entwaffnung einer Armee - es geht um Kämpfer, um Stärke und Schwachsein, um Angriff und um Verteidigung. Das sind Rollenmuster und Verhaltensweisen, hinter denen Fragen stehen: Nach der Identität, nach der Formung des eigenen Bildes, nach den Einflüssen von Medien und Mythen. Eines der Leitmotive ist der Einsatz in den Todesmaschinen von Star Wars. Die Knaben werden zu Piloten, zielen und schiessen, jagen vorbei, vernichten den Feind zum Sound aus der Traumfabrik, zu den mächtigen körperlosen Stimmen der Helden aus dem Film.
Doch das ist keine Imitation eines Hollywoodfilms, es ist ein fragendes Spiel mit den Versatzstücken, die in den Erinnerungen und Vorstellungen, auf den Tonspuren und Bildsequenzen zurückgelassen sind. Das kontrastiert mit der Erzählung Adrians, der auf der Show von Michael Schanze auftrat - und ist genauso ein Einüben in Schein und Sein.
Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, die mit Valentin Erni, Thomas Hostettler, Diego Krauss, Ahmed Mehdi und Adrian Seitz dieses Stück erarbeitet haben, gingen von den fünf Jugendlichen und ihrer Welt aus. Sie lassen die Akteure sich selber spielen und ihre eigenen Rollen erfinden. Das lässt das Stück zum Abenteuer werden und offen bleiben.
Mehr Fragen als Antworten
Solche Offenheit erfordert vom Zuschauer ein Einlassen auf diese Entdeckungsfahrt, von der er mit mehr Fragen zurückkehren wird als Antworten. Über die eigene Rolle, als Eltern zum Beispiel, und über die eigenen Vorstellungen und Ansichten - über sich, über die Heranwachsenden. Es ist eine Expedition in ein ungewohntes Land mit seinem eigenen Witz, seinen eigenen Fährnissen, Nachdenklichkeiten und Überraschungen. Die fünf Akteure spielen mit leichter Selbstverständlichkeit und mit einer Spur Selbstironie. Sie nehmen das alles gar nicht so wichtig - und doch ist es ihnen wichtig genug, sich ganz hineinzugeben.