By Helmut Ploebst
21.12.2006 / Der Standard
Hier haben wir es mit Helden des Alltags zu tun, denen schon viel Countrymusic und zahlreiche Roadmovies gewidmet worden sind: In der Performance Cargo Sofia von Rimini Protokoll, die nun auch in Wien Station macht, stellen zwei Lkw-Fahrer die Hauptfiguren. Das Publikum des Gastgebers Tanzquartier wird in einen Brummi gepackt und zu einer zweistündigen Tour durch eine Stadt verfrachtet, die wir so noch nicht kennen.
Die beiden bulgarischen Lenker Ventzislav Borissov und Nedjalko Nedjalkov spielen sich selbst: als Theatertrucker und Geschichtenerzähler. Auch das Publikum spielt sich selbst. Es ist jetzt kostbares Ladegut, das belüftet, beheizt und mit Darstellungen versorgt werden muss. Es zeigt sich: Rimini-Protokoll-Regisseur Stefan Kaegi ist auch als talentierter Spediteur ein bewegender Theatermacher.
Er schleust seine 47-köpfige Ladung direkt in Fakt und Fiktion der großen europäischen Transportchoreografie - mitsamt ihren beinharten politischen Vordergründen. Weder Countrysongs noch Convoyfilme haben die harte Arbeitsrealität der Fernfahrer wirklich verbessert. Wenn Billigware nicht billig transportiert werden kann, dann ist sie kein "Schnäppchen". Und nur dieses macht unseren Geiz so geil. Doch so zynisch ist Kaegi gar nicht. Mit trockenem Humor und ohne anklagenden Unterton erzählen die beiden Herren Borissov und Nedjalkov von Marathonfahrten und Korruption der osteuropäischen Grenzer sowie Polizei, von der Entlohnung und von ihren Familien daheim. Und sie geben weniger Anekdoten als vielmehr Berichte preis.
Das Publikum indes sitzt in einem Schaukasten. Die Welt draußen wird zur Inszenierung, denn nur so ist sie kommunizierbar. Eine Längsseite des Schaukastens lässt sich öffnen. Der Lkw fährt ganz nahe an der Welt draußen vorbei - an einem Containerumschlagplatz, an einem Warenumschlagplatz, an einer jungen Frau, die auf einer Verkehrsinsel bulgarische Lieder singt. An Tankstellen, die zu Grenzstellen erklärt werden. Wien verwandelt sich in ein Aus- und Inland auf dieser Reise von Sofia hierher über 3000 fiktive Kilometer, gefahren mit realem Erzählsprit.
Gezündete Geschichte
Dabei zündet vor allem die Geschichte von einem deutschen Transportunternehmer, der noch in Zeiten des Kalten Krieges in den Osten expandiert hatte und nachmals in einen Skandal um die Ausbeutung bulgarischer Fernfahrer verwickelt war. Wir erinnern uns an entsprechende Medienberichte.
Der Fernfahrer-Imbiss "Donauweibchen" zieht vorüber. Zuvor haben einige Gäste eines Tankstellenbeisls den rollenden Schaukasten mit offenen Mündern bestaunt. Wir sind auf Safari. Das da draußen ist aber kein Nationalpark: 47 Kulturmenschen suchen Einleuchtendes. Die Glasscheibe kann durch ein Projektionsrollo verdeckt werden. Wenn dann im geschlossenen Inneren das Video läuft, wähnen wir uns sicherer.
In diesen Momenten wird die Tour zur dämonischen Fernsehfahrt. Wir sind angeschnallt und müssen nie aussteigen. Wir bleiben gut verpackt. Zu gut. Eine Kamera verbindet uns mit dem Fahrerhaus. Liveübertragung, Transport des Publikums und der Botschaft des Theaterprojekts verbinden sich zur angemessenen Choreografie. Am Ende prosten die beiden Fahrer und die Sängerin uns zu. Dann steigen wir aus, warm gehalten und ein bisschen bedrückt.