Ein modernes Sittengemälde

Im Wald von Burg Hülshoff tut sich wieder was. Dort lässt das Künstlerkollektiv Rimini Protokoll ein multimediales und interaktives Sittenbild zum Werk „Die Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff entstehen. Die Kulturfreunde nehmen dabei auf Hochsitz

By Wolfgang A. Müller

04.09.2022 / https://www.muensterschezeitung.de

Nur der Wald ist Zeuge der mysteriösen Bluttaten, die Annette von Droste-Hülshoff in ihrer Novelle „Die Judenbuche“ beschreibt. Sie sind indes nur Ankerpunkte einer auf einem historischen Fall basierenden Kriminalgeschichte, deren Untertitel „Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen“ auf die vielschichtigen Themen verweist, die diesen Klassiker bis heute populär und wichtig erscheinen lassen.

Ein solches, allerdings multimediales und interaktives, Sittenbild lässt die Installation „16 Szenen für einen Wald“ des Künstlerkollektivs Rimini Protokoll entstehen. An geeigneter Stelle, einem Gehölz im Park von Burg Hülshoff, laden im Kreis angeordnete Hochsitze dazu ein, sich das Geschehen der Erzählung von einer anderen, quasi höheren Warte zuzuführen.

Helgard Haug und Daniel Wetzel haben hier, im Auftrag des Center for Literature, einen Wahrnehmungsraum mit ganz eigenen Reizen geschaffen, in dem Hörspiel, visuelle Elemente und Naturbetrachtung ineinander greifen. Auf kleinen Monitoren erscheint eine sich immer neu formierende Wolke aus Wörtern, einzelnen Buchstaben, gar Regieanweisungen für das Publikum, während ein ausgeklügeltes Sound-Design bisweilen gezielt asynchron die einzelnen Sitze beschallt. Es wirkt wie ein erlauschtes Gespräch in einem Hinterhof, das vom Wind hin und her getragen wird und in das sich immer wieder mitunter gespenstische weitere Stimmen mischen. Feldstecher stehen bereit, um die Gegend ins Visier zu nehmen, doch ihr Licht lässt alles nur umso nebulöser und artifizieller erscheinen. Die Unsicherheit der Erkenntnis und die dräuenden sozialen und politischen Umbrüche, der die von Droste beschriebene dörfliche Hermetik ausgesetzt ist, werden hier sinnlich erfahrbar.

Typisch für „Rimini Protokoll“ ist, dass sie so genannte „Experten“ aus dem Alltag, Menschen, die Tätigkeiten fernab des Theaters ausüben, agieren lassen. Hier sprechen Personen aus der Waldwirtschaft, Suchtkranke oder Frauen mit Gewalterfahrungen als Pendants der Protagonisten der Novelle. Was zunächst sperrig wirkt, ist ein pfiffiges Verfahren, eine größtmögliche Vielfalt der Charaktere in den Köpfen des Publikums zuzulassen und sie zu einem zeitgenössischen Sittenbild zusammenzusetzen.


Projects

16 Scenes for a Forest