Ein kasachischer Bohrjob

Die Festwochen widmen sich mit Rimini Protokoll wieder dem Dokumentartheater

By Bernhard Baumgartner

21.06.2011 / Wiener Zeitung

Der spannendste Moment einer Erdölbohrung ist, wenn der erste Bohrkern nach oben gelangt. Durchtränkt mit Öl muss er sein und riechen - nach Geld. "The smell of money" wird der charakteristische Gestank genannt, erzählt Gerd Baumann, Bohrexperte und einer jener fünf Protagonisten in der neuesten Inszenierung von "Rimini Protokoll", das sich rund um Kasachstan und seine Nachbarländer dreht. Fünf Menschen stehen hier auf der Bühne, denen eines gemeinsam ist: Der Fall des eisernen Vorhangs hat ihr Leben nachhaltig verändert.
Gerd, der ostdeutsche Bohrmann, konnte in die weite Welt und zieht nun von Bohrjob zu Bohrjob, um gutes Geld zu machen. Fünf Kinder von vier Frauen waren die Resultate seines Nomadenlebens. Anders Heinrich Wiebe, deutschstämmiger Lkw-Fahrer, dessen Familie mannigfaltige Vertreibungen erlebt hatte. Er kaperte seinen desolaten Truck und ging nach Deutschland.
Es ist eine vielschichtige Kollage, die Regisseur Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) hier mit seinen "Experten des Alltages" auf die Bühne stellt. Dokutheater vom Feinsten, untermalt von Videos, privaten Bildern und Anschauungsmaterial. Wenn etwa Energieberater Nurlan Dussali einen kleinen Kanister Rohöhl ausleert, um zu zeigen, wie viel Öl jeder der Zuseher verbrauchte, um zu der Aufführung zu kommen. Oder wenn die nach Hannover emigrierte Kasachin Helene Simkin in einer kleinen Wanne Schlamm stapft - genau so hört sich das in ihrem Heimatdorf an, wenn der Regen die Pisten vermatscht hat.
Immer wieder werden überraschende Requisiten aus Abdeckungen im Boden der Bühne hervorgezaubert, wenn etwa die 28-jährige Elena Panibratowa demonstriert, wie sie auf dem Bartisch für betrunkene Amerikaner tanzt, die sich nicht zu blöd sind, Whiskey von ihrem Stiefel zu schlürfen - East meets West.
Trist sind die Bilder, die hier von Kasachstan gezeigt werden, von Helenes Heimatdorf, das man wohl deprimierender nicht illustrieren könnte. Und ihrem Bruder, der nicht mit ihr in den Westen wollte: "Einer muss ja die Gräber pflegen." Und da sind dann noch die surrealen Bilder der Retortenhauptstadt Astana, das Megalomanie-Projekt des autoritären Präsident Nursultan Nasarbajew, der mit dem üppig fließenden Öl-Geld eine neue Metropole in die Steppe gestellt hat, während weite Teile der Bevölkerung in Armut leben.
Schwarzer Lebenssaft
Und immer wieder ist es Öl, der Lebenssaft des Wohlstandes, der eine zentrale Rolle in diesem Abend einnimmt. Das Öl, das ungehindert von Schicht zu Schicht migrieren darf - keine Grenzen halten es auf, denn die sind nur für die Menschen da.
Alle, alle, sind sie längst in Kasachstan - die Texaner, die Araber und auch die OMV. Jeder hat seinen Claim abgesteckt und saugt das hundert Grad heiße Blut aus den tiefen Schichten der Erde. Einem Parforceritt durch die Erdgeschichte gleich: Durch die Kreide, durchs Jura, vorbei an Trias und Perm, in dessen Zechstein das Fundament für den kasachischen Wohlstand einiger liegt. Der fünftgrößte Öllieferant will das Land demnächst werden. Goldgräberstimmung für die Glücksritter.
"Bodenprobe Kasachstan" fördert mit seinen fünf Laien-Darstellern, die sich selbst spielen, eine Authentizität auf die Bühne, die jedoch nicht in eine wohl durchaus vertretbare kritische Grundstimmung abgleitet. Statt vordergründige Betroffenheitsbezeugungen verlegt man sich auf Untertöne, Anspielungen und das Setting, das natürlich gesellschaftskritisch gelesen werden kann. In Summe ein sehr gelungener Abend, bei dem man mit dem zufriedenen Gefühl nach einem gutem Dokumentarfilm nach Hause geht.


Projects

Bodenprobe Kasachstan (Soil Sample Kazakhstan)