By Jörg Järmann
02.06.2006 / Basellandschaftliche Zeitung
Nach den Modelleisenbahnern geht es nun um Lastwagen und die Trucker: eine Fahrt im Grenzbereich.
BASEL. Vor dem Bühneneingang steht ein bulliger Lastwagen, man denkt zaghaft und bange, man müsse nun in diesem dunklen Container Platz nehmen. Dem ist auch so, 50 Personen passen da hinein, kein Problem, drei Längsreihen, eng, dicht gedrängt, der Waggon wird geschlossen. Man sitzt in Längsrichtung der «Sardinenbüchse », fährt also seitlich und die Sichtwand ist aus Glas; eine Art Sight- Seeing-Tour der besonderen Art beginnt – Stefan Kaegis «Cargo Sofia –Basel ist die letzte Premiere in der Ära Michael Schindhelm. Wir blicken auf vorbeiflitzende Strassenborde, Trottoirs, Häuserfassaden, Autos, Benzintanks, Rastplätze und natürlich sehen wir Trucks und Truckers, wir sollen einen Einblick gewinnen in eine Welt und Gesellschaft, die immer etwas abseits unseres Alltags steht, die sich aber täglich und jede Nacht unmittelbar neben uns abspielt.
Platzangst und schwache Blasen muss man zuhause lassen
Im Camion ist es eng und während knapp zwei Stunden sitzt man dicht an dicht und ohne Pause in seiner Reihe und kann nicht raus. Dafür aber wird man entschädigt: Neben dem herrlichen Ausblick durch die Seitenfront aus Glas sieht man, wo sich Globalisierung und Industrie-Alltag in Basel wirklich abspielt: in Hinterhöfen, Hinterwelten, im Niemandsland und auf unromantischen Parkplätzen, in Lagerhallen, Containerdepots, bei Ölzisternen und an Zollstationen.
Immer wieder geht die Leinwand vor unserer Aussicht herunter, der Lastwagen wird zum geschlossenen Kubus, und wir sehen vor der Nase Lastwagenwelten-Aufnahmen aus Sofia, Serbien, Italien und der Schweiz. Informationen über Willi Betz und sein expandierendes Transportunternehmen sind aufgearbeitet, informiert wird mit Laufschriften über schmutzige Geschäfte mit Löhnen und mit dem ehemaligen Ostblock. Man erlebt auch die Armut der heutigen Truckerfahrer aus dem Balkan, die alles Essen von zuhause mitnehmen, weil selbst die Warenhäuser bei uns viel zu teuer sind für sie.
Die Industriezonen der Städte sind sich überall sehr ähnlich. Das Ganze bewirkt kreative Irritationen: Man sieht etwa ärmliche und architektonisch verwahrloste Zonen aus Balkanstädten, dann geht die Leinwand hoch, man blickt überrascht auf Basel – für einmal nicht ins Theater oder auf den Münsterturm und in die Altstadt, sondern in den Autobahnbereich, in die ärmeren Teile Kleinbasels und des Grenzdreiecks. Autos, Autobahnen, Lastwagen, Lagerschuppen und Industriezonen sehen alle gleich aus, auch Fuelzylinder und Containerkrane sind überall zu finden. Wir sind keine Ausnahme mehr, sondern wie die andern.
Globalisierung macht gleich. Die zweite Irritation ist diejenige der Wahrnehmung von Raum und Tempo. Durch das Sitzen seitwärts zur Fahrtrichtung ist die Optik unüblich, unsere bekannte Umgebung zieht anders am Auge vorbei und wird zum Film. Zudem ist das Tempo der Filme und dann der realen Aussenwelt, die vorbeizieht, unterschiedlich. Weil es im Wageninnern dunkler ist als draussen, sieht das Publikum wie ein Voyeur auf diverse Szenen aus dem Alltag, die man sonst kaum beobachtet oder beobachten kann.
Kaegi vermischt Realität mit Fiktivem und Dokumentationen
Die beiden Lastwagenfahrer, die uns chauffieren, erzählen aus ihrer Welt, sind echt, sie stellen sich dar und geben offen viel von ihrer Welt preis. Ohne Zwinkern oder Eigentümelei wird erzählt, wie es zugeht in dieser Truckerwelt und wie das Leben ist im Camion fern von zuhause. Ventzislav Borissov und Svetoslav Michev überzeugen durch ihre unkomplizierte und ungeschminkte Art. Die beiden wissen genau, mit wie viel Zigaretten sie welchen Zöllner bestechen müssen und wie es auf den Ausstellplätzen zugeht.
Wir bekommen einen Einblick aus dem gesicherten Container in die abendliche Welt der Camioneure: die Füsse auf dem Lenkrad, das Bier dabei, die Zigaretten, der Bauch ist prall, der Kopf leer, man ruht sich aus, einige schlafen. In der Fahrerkabine findet alles statt wie in einer Wohnung, seitlich der Lastwagen wird mit Campingkochern gekocht. Manche stehen herum, rauchen, schwatzen, schauen mit müden Blicken in den Abend. Auch der pensionierte Zöllner ist echt, er erzählt, wie er gearbeitet hat während Jahrzehnten am Basler Zoll und mit den Camions. Daneben aber taucht immer wieder eine geheimnisvolle Frau – gespielt von Beren Tuna – auf, ein Sehnsuchtsobjekt, Balkan-Lieder singend. Sie steht mitten in einem abgelegenen Strassenkreisel und singt, sie radelt dem Lastwagen nach, sie hat Pakete auf dem Velo, sie singt neben einem eingeschlafenen Schweizerfahnenschwinger.
Die eingestreuten Fiktionen spiegeln ebenfalls die Welt der Trucker wider, man merkt, dass man nur einen kleinen Einblick bekommen kann und sicher nicht das Wissen, wie es sich in dieser fremden Welt lebt. Kaegi schliesst nicht ab, er macht Angebote, er zeigt Ausschnitte, er regt an. Wenn der ganze Lastwagen nach der Fahrt zu klatschen anfängt und sich die beiden kleinen Türen wieder öffnen, wird die Konstruktion dieses Theaters auch durchschaubar.
Die Logistik, die hinter dem Unternehmen steckt, die Technik, die Koordination, die Elektronik: Das ist eine grosse Leistung eines Theaters, das sich nie vordrängt und das dem gerüttelten Mass LKW-Enge und dem bald schon heimeligen Benzinduft keinen Abbruch tut, das im Gegenteil ein Stück «echtes» Leben ausserhalb allen Theaters in all seiner Härte ahnbar werden lässt. Genauso, wie es gleichzeitig unsere Fiktionen von heilen heimischen Welten liebevoll entlarvt.