Die Versprecher der Revolution
Politisches Theater
By Peter Michalzik
26.10.2009 / Frankfurter Rundschau
Wie war das? Es gibt kein politisches Theater mehr? Von wegen. Da haben sie in München jetzt die Sicherheitskonferenz, die jedes Jahr im Bayerischen Hof stattfindet, nach- und in Frage gestellt. Und zwei Tage später haben sie die Münchner Räterepublik reanimiert und ein richtiges Revolutionskonzert draus gemacht, so dass es einen heiß und kalt erwischt. Da war nicht nur viel Theater, da war mehr Politik als in den gesamten Koalitionsverhandlungen (mit allen Arbeitsgruppen).
Wahrscheinlich muss man noch mal alles der Reihe nach erzählen, damit man versteht, dass da in München wirklich etwas passiert ist. Politik und Theater, das ist seit Jahrzehnten eine schwierige Zwangsehe. Zunächst könnte man Wetten darauf abschließen, dass sich immer noch 90 Prozent der Leute im Theater als irgendwie links bezeichnen (wobei dabei das Wort "irgendwie" zentral ist). So richtig demonstriert hat man zwar das letzte Mal in Wackersdorf. Aber auf der anderen Seite weiß jeder, dass Theater ohne Politik nicht geht. Wie es mit Politik gehen soll, weiß aber auch niemand. So ist das Theater in diesem Punkt das perfekte Abbild der ratlosen Gesamtgesellschaft.
Theater ist voller Wehmut, dass die Zeiten vorbei sind, als das mit dem Politischen (angeblich oder wirklich) gut funktioniert hat. Nur weil Claus Peymann bis heute als Theaterbeauftragter für politische Gesellschaftsfragen durch die Talkshows tourt, verschwindet ja die Sehnsucht nach politischem Theater nicht, nach dem Theater, das mitten in der Gesellschaft steht, Widersprüche freilegt, zur Diskussion und am Ende dann zur Veränderung der Verhältnisse führt.
Da liegt das Problem. Seit den Achtzigern und spätestens seit den neunziger Jahren ist es ausgemachte Sache, dass das mit der Veränderung der Verhältnisse nicht geht. Die Welt ist komplex, undurchschaubar komplex, man weiß nicht mehr, wo die Guten und wo die Schlechten stehen. Ganz genau weiß man dagegen, dass man selbst ein Teil des Systems ist, und dass es rettungslos naiv wäre, wenn man schlicht für etwas oder schlicht gegen etwas wäre. Parteinahme und Feindbild, das geht nicht mehr.
Wie man in einer so befriedeten Welt politisches Theater macht, weiß niemand so gut wie Rimini Protokoll. Die Produktionen der Gruppe verkaufen sich nicht umsonst weltweit wie geschnitten Brot.
Kurz vor der Premiere seiner "Sicherheitskonferenz" erzählt der Rimini-Regisseur Stefan Kaegi von einem Erlebnis, als er, der schon immer viel unterwegs war und deswegen natürlich für offene Grenzen war, begriffen habe, was Globalisierung ist: Es war in Warschau und ist schon etwas länger her, ein Markt, auf dem Bauern ihre runzligen und schiefen Polentomaten verkauften. Da rollten riesige Lastwägen an, die perfekt runde, perfekt rote Bilderbuchtomaten von weit her karrten und die auch noch zum halben Preis anboten. "Da wurde ein Land abgeschafft", sagt Kaegi. Und denkt zugleich: Dass er, der mit seinem Theater die freien Grenzen nützt wie die holländischen Tomatenlaster, eben auch ein Teil dieses Systems ist.
Das Theater von Rimini Protokoll kann trotz solcher Systemfehler bestehen, es kann sogar damit umgehen. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist das jährliche Forum, wo Spitzenpolitiker aller wichtigen Länder sich treffen, um militärische Fragen zu diskutieren. Hier war es, wo Rumsfeld vor ein paar Jahren Westeuropa als "old Europe" bezeichnet hat.
Auf der Münchner "Sicherheitskonferenz" von Kaegi treffen Akteure zusammen, die alle mit ihr zu tun haben, aber das mehr erleiden als gestalten. Rimini nennt diese Akteure Experten, Menschen aus dem echten Leben. Weil sie sich selbst darstellen, glaubt man ihnen. Wahrheit zum Anfassen. Da sind Rimini-Abende immer gleich und immer gleich einfach.
Andererseits sind sie kompliziert. Im Idealfall sind sie so kompliziert wie die Wirklichkeit. Im Münchner Fall wird die Wirklichkeit von neun Experten vertreten, darunter eine junge Somalierin, deren Vater und Bruder ermordet wurde, und die es, wie blieb unklar, nach Europa geschafft hat. Oder eine Bundeswehrsoldatin, die sich gegen eine unnachvollziehbare Disziplinarmaßnahme in Afghanistan gewehrt hat. Sidigukkah Fadai, der 2001 in München eine Afghanistan-Konferenz zustande brachte, an der alle gesellschaftlichen Gruppierungen des Landes teilnahmen. Der Vorstand eines Rüstungskonzerns und der ehemalige Chefkoordinator der echten Sicherheitskonferenz waren auch dabei. Das gesamte Spektrum also, auf das sich die Entscheidungen derer, die sich alljährlich wirklich im Bayerischen Hof versammeln, nachhaltig auswirkt.
Man erfährt über Konferenzen, Kriegsroboter, Afghanistan, Englischkenntnisse von Politikern und steigende Rüstungsausgaben sehr viel Interessantes und Wissenswertes. Unterhaltsam ist es auch: Der Münchner Abend ist - mit Musik, Tanzeinlagen, Modenschau und Robotervorführung - eine kleine Revue. So perfekt inszeniert, dass man sich fragt, ob nicht etwas mehr Sprödigkeit die Verhältnisse in größerer Sichtbarkeit belassen hätte.
Aber das sind geschmäcklerische Fragen. Wichtiger ist: Der Rüstungsmensch, die Bundeswehrsoldatin und eine Dolmetscherin wurden - sehr gut - von Schauspielern nachgestellt. Da zeigte sich, wie fragil das Theaterformat von Rimini ist. Das war mindestens ein Schauspieler zu viel. Wo das Authentische, das die Experten automatisch auf die Bühne bringen, wegfällt, schwindet auch das Gefühl, dass hier Dinge sichtbar werden.Trotzdem versteht man hier in zwei Stunden mehr über Krieg als jemals vor dem Fernseher. Dieses Theater macht sichtbar, konkret und kommt einem nahe. Der Zuschauer fühlt sich in etwa so, wie wenn eine verschlossene Box, auf der "Münchner Sicherheitskonferenz" steht, aufgeklappt würde: Und er wundert sich wie bei einem Zauberkasten, was da alles rauskommt.
Trotzdem gibt es etwas, das hier ruhiggestellt wird. Was würde geschehen, wenn die junge Somalierin und der Vorstand des Rüstungskonzerns miteinander reden würden? Wie viel Hass, Verzweiflung, Auflehnung und Resignation bleiben ungesagt?
Bei solchen Fragen wird Stefan Kaegi zögerlicher. Er wittert Feindbilddenken, er möchte nicht die einen als Schweine und Kriegstreiber anklagen. Er möchte die Sicherheitskonferenz nicht verbieten, er findet es gut, dass sie mitten in München stattfindet und nicht wie der Weltwirtschaftsgipel in Davos vollkommen abgeschottet. Er will Offenheit, Sichtbarkeit, Klarheit, aber keine Verurteilung.
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