By Daniel Völzke
10.09.2010 / Monopol – Magazin für Kunst und Leben
Sie erklären eine Aktionärsversammlung zur Theateraufführung und lassen "echte" Menschen auf der Bühne von ihrem Leben erzählen: Das Kollektiv Rimini Protokoll hat mit konzeptionellen Ansätzen die Theaterlandschaft aufgemischt. Jetzt stellt es im Heidelberger Kunstverein aus. Ein Gespräch mit Stefan Kaegi, einem der drei Mitglieder der Gruppe, über theatralische Ready-mades, Formen des Performativen und die Frage, warum Kunst und Theater nicht so recht zueinander finden
Zum ersten Mal zeigen Sie Ihre Arbeiten in einer Kunstinstitution. Hätten sie nicht von Anfang an dorthin gehört?
Es gibt Leute, die unsere Arbeiten sehen und sagen: „Das ist kein Theater, das ist eine Performance“. Doch wir bestehen meist darauf, dass es sich um Theater handelt. Dieser tendenziell konservativere Kontext bringt viele Gesetze mit sich, deren Rahmen wir interessant finden. Die Frage nach Fiktion und Wirklichkeit etwa besitzt hier eine andere Relevanz als im Kontext einer Ausstellung. Wir kommen allerdings teilweise auch aus der bildenden Kunst, und vielleicht ist es nur konsequent, nach zehn Jahren in Theaterinstitutionen die Begriffswelt noch einmal umzustülpen und uns die Angelegenheit von der anderen Seite anzuschauen.
Kann es sein, dass man im Theater durch „Authentizität“ noch eher beeindrucken kann als in der bildenden Kunst, wo Performancekünstler sich anschießen oder kreuzigen lassen haben?
Ich glaube ja, dass das Theaterpublikum aufmerksamer ist, als es Museumsbesucher sind. Sicher sind Theaterzuschauer auch anspruchsvoller, wenn es darum geht, Narration geliefert zu bekommen. Diese Folie ist für uns interessant: dass da Leute bereit sind, ihre Handys auszumachen und sich eine Stunde aufmerksam hinzusetzen. Theater ist ein seltsamer Isolationscube. Vielleicht interessiert sich die bildende Kunst deshalb zur Zeit vermehrt dafür, weil dieser soziale Raum an sich einen Ereigniswert besitzt.
Rimini Protokoll hat das Dokumentarische auf die Bühne gebracht. Was passiert, wenn Sie „Ready-mades“ in diesen „Isolationscube“ Theater tragen?
Wir benutzen den Begriff des „theatralischen Ready-mades“ nicht für alle unsere Aufführungen. Er ist gültig für Arbeiten wie „Hauptversammlung“. Auf der Hauptversammlung von Daimler kommen Aktionäre zusammen, die sehen wollen, wie ihr Geld performt oder wie die Stars der Aufsichtsräte ihre Kapitalismus-Show abziehen. Diese höchst theatrale Veranstaltung haben wir 2009 zur Theateraufführung erklärt und über Aktienkäufe und Vertretermechanismen zugänglich gemacht für 200 Theaterzuschauer. Wenn wir dagegen über Monate hinweg mit Grabsteinhauern über ihre Biografie und den Tod arbeiten, sprechen wir nicht von einem „Ready-made“. Allen unseren Arbeiten ist allerdings der Kontexttransfer gemein, und somit sind sie Durchamps Prinzip verwandt: Durch die Brille des Black Cubes Theater beginnt der Zuschauer, über die Künstlichkeit des Rahmens und der Darsteller darin nachzudenken.
Es geht Ihnen um Nähe und gleichzeitiger Distanznahme: Man hat keine Aktien bei Daimler, sitzt aber jetzt in dieser Hauptversammlung ...
... und überprüft die Inszenierung mit der Theatermaschine im eigenen Kopf. Man hat ja dafür bezahlt, erwartet Unterhaltung und merkt dann, dass man sich den Spaß selbst produzieren muss, indem man darüber nachdenkt.
Und was passiert im Kunstverein? Ist das nur ein weiterer Raum, in dem Publikum nachdenken kann?
Am produktivsten wird der Transfer vom Theater in den Kunstverein vielleicht in der Installation „Calcutta in a box“, bei der ein indischer Callcenter-Mitarbeiter live aus Kalkutta mit dem Ausstellungsbesucher kommuniziert. Das funktioniert im Kunstverein womöglich besser als in einem Theaterzusammenhang, weil es keine Zeitbeschränkung für den Besucher gibt und auch deshalb, weil er unvorbereiteter ist. Man sieht vor der Koje ein Bild eines Inders und denkt wahrscheinlich, das ist ein Video. Drinnen aber spricht einen dann dieser Inder an, der kann über eine elektronische Schaltung sogar für den Besucher Tee kochen, Musik einspielen, das Licht anmachen. Der ist tatsächlich da, obwohl 20.000 Kilometer weit entfernt in einem Callcenter, aus dem heraus er normalerweise Anti-Virusprogramme nach Australien verkauft. Ich bin gespannt, wie das im Kunstverein funktioniert, wenn der Besucher sich entscheiden kann, ob er sich auf diese Begegnung einlassen will oder nicht. Das Kunstpublikum besitzt ja gegenüber allem, wo „Theater“ draufsteht, eine hohe Hemmschwelle.
Woher kommt dieses Abgrenzungsdenken?
Wahrscheinlich daher, dass soviel konzeptloses Theater zu sehen ist. Das Problem beginnt bei den Ausbildungszusammenhängen: Die Schauspielschulen beliefern die Staatstheater mit Absolventen, die sich nicht als Künstler verstehen, sondern ein Handwerk gelernt haben: Rollenstudium, Fechten und so weiter. Schauspielschulen funktionieren heute noch so wie Kunsthochschulen vor den 70er-Jahren, als der Kunststudent erst einmal ein Jahr lang Akte zeichnen musste. Die Staatstheater machen auch mal ausnahmsweise Schlingensief, dazwischen müssen sie aber ihren Schiller durchziehen, die Säle mit Liederabenden vollkriegen, und wer sich vorher nicht gut informiert, sitzt dann da drin, obwohl er doch Kunst sehen wollte. Das Label „Gegenwartskunst“ scheint geschützter für den Benutzer. Der weiß, dass er dort etwas findet, woran er anknüpfen kann – und im Zweifelsfall auch fix wieder rauskommt. Erst freiere Theater-Zusammenhänge wie das Berliner HAU bringen ganz andere Formen des Perfomativen zustande. Festivals wie „Theaterformen“ oder „SpielArt“ zeigen teilweise Arbeiten, die man genauso gut im Kunstzusammenhang rezipieren könnte.