Die Theater-Behauptung

Interview mit Helgard Haug

By Sophie Diesselhorst

14.04.2009 / Cicero Online

Eine Aktionärs-Hauptversammlung kann man auch als Theaterstück sehen – um diese Vermutung zu prüfen, lud die Dokumentartheatergruppe Rimini Protokoll 200 Theaterzuschauer zur diesjährigen Hauptversammlung des Autoherstellers Daimler ein. Im Interview mit Cicero Online erklärt Helgard Haug von Rimini Protokoll, wie das Projekt Hauptversammlung entstanden ist – und was sie sich von dem Theaterblick auf die Wirklichkeit verspricht.

Wie seid Ihr darauf gekommen, Euer Publikum in die Aktionärs- Hauptversammlung von Daimler einzuladen?

Wir haben 2005 angefangen, uns für das Phänomen Hauptversammlung zu interessieren, als wir bei einer Veranstaltung in der NGBK mit ein paar Vertretern der „Kritischen Aktionäre“ auf einem Podium saßen. Es ging darum, welche Aktionsformen haben wir, welche haben die, wie kann man politisch sein in so einer Hauptversammlung, und was sind überhaupt griffige Theaterformen? Damals schon hatten wir das Gefühl, dass die Behauptung, dass eine Hauptversammlung – so wie sie ist - eine Inszenierung ist, Kunstwerk genug ist - ohne dass man da noch groß etwas hinzufügen müsste.
Damit war also die Idee geboren und wir haben im nächsten Schritt das Unternehmen Henkel in Düsseldorf angepeilt.

Wie seid Ihr konkret vorgegangen?

Wir haben uns nach einiger Überlegung für eine „kooperative Form“ entschieden, also dafür, dem Konzern unsere Idee vorher offenzulegen. Wir haben Henkel angesprochen, hatten Gespräche mit dem Vorstand vermittelt über den Freundeskreis des Theater. Am Ende haben sie sich aber doch entschieden, dass sie nicht mit uns kooperieren wollen – aus Angst, dass Aktionäre im Anschluß klagen könnten. Daraufhin ist auch das Theater eingeknickt und wollte die Aktion nicht gegen den Willen des Vorstands durchführen. Die sind ja auch auf ihre Geldgeber angewiesen. Also haben wir nach Alternativen gesucht.

Hat es einen speziellen Grund, dass Ihr Euch schließlich für die Hauptversammlung von Daimler entschieden habt?

Daimler ist einfach als Traditions-Unternehmen mit einer langen Geschichte hochinteressant: die Ware Auto ist hochemotional, der Stern nach wie vor ein Statussymbol, gleichzeitig geht es hier am anderen Ende des Objekts ja noch um harte, auch körperliche Arbeit.
Ein ganz großer Teil der Daimler-Aktien ist außerdem im Streubesitz, das heißt, es gibt sehr, sehr viele Aktionäre, die jeweils nur sehr wenige Aktien besitzen. Auch die Heterogenität der Aktionäre ist interessant; und die Dimension der Veranstaltung:
die Hauptversammlung findet im ICC statt, erwartet werden 9.000 Aktionäre.

Ihr seid es diesmal nicht kooperativ, sondern von Anfang an „parasitär“ angegangen, habt Euch also entschieden, den Konzern nicht vorher einzuweihen...

...das war der Plan. Um unseren Zuschauer den Eintritt zur Hauptversammlung zu ermöglichen, haben wir aber Aktionäre gesucht, die bereit waren, ihre Eintrittskarte an einen Theaterzuschauer abzutreten - unter anderem über Zeitungsannoncen, in denen stand: „Das Berliner Hebbel-Theater sucht Daimler-Aktionäre zwecks Recherche“. Der erste, der sich auf diese Zeitungsannoncen meldete, war allerdings jemand von Daimler Investor Relations. Er gab sich zu Anfang nicht zu erkennen, hat sich erstmal alles erzählen lassen, und irgendwann hat er sich offenbart und hat gesagt, das würde er jetzt mal alles seiner Chefin erzählen, und die würde sich dann wieder melden. Wir haben uns schließlich mit ihnen in Berlin getroffen. Für sie war einfach nur wichtig einschätzen zu können was genau wir zur HV planen denn, dass uns wirklich die pure Betrachtung interessiert, konnte niemand glauben. Natürlich gingen sie davon aus, dass wir ihrer Inszenierung noch was draufsetzen wollten, dass wir Aktionen planen und uns selbst ins Zentrum setzen würden. Da wir aber mit dem Status Aktionär bzw Aktionärsvertreter in die HV kommen, konnte auch niemand dagegen vorgehen. Als zwei meiner Kollegen unsere „Ansprechpartnerin“ heute morgen hier auf der HV trafen und ihr toi toi toi und viel Glück für die Inszenierung wünschten, da sagte sie „Das ist hier kein Theater, das ist Ihre Inszenierung, mit uns hat das nichts zu tun!“

Mit der Wirtschaftskrise habt Ihr nicht gerechnet, aber sie kam Euch wahrscheinlich gelegen, weil sie die Veranstaltung sicherlich um einiges spannender gemacht hat...

...ja, es ist schon interessant, wie sich ein Vorstand in so einer Situation verhält. Er ist natürlich sehr viel angreifbarer, er wird ja im Moment vor allem daran gemessen, wie er den Konzern durch so eine Krise steuert.

Woran hat man denn in der Inszenierung der Hauptversammlung diese Angreifbarkeit bemerkt?

Letztes Jahr war es noch floskelhafter und glatter, viel arroganter als heute. Es gab ja in Herrn Zetsches diesjähriger Rede durchaus Zu-, ja sogar Eingeständnisse, auch das Wort „Krise“ hat er nicht vermieden. Letztes Jahr deutete sich die Krise zwar auf den amerikanischen und asiatischen Märkten schon an, aber das hatte für Daimler einfach gar nichts mit dem „Erfinder des Automobils“ zu tun.

Das Bühnenbild allerdings ist exakt so wie letztes Jahr. Der einzige Unterschied ist die Krawattenfarbe von Zetsche und Bischoff. Was, glauben Sie, will Daimler seinen Aktionären dadurch vermitteln?

Sparsamkeit. Der Aktionär soll denken: „Toll, haben sie wenigstens kein Geld ins Bühnenbild gesteckt!“ - obwohl ich mir sicher bin, dass sie es nicht 1 Jahr gelagert haben, sondern einfach exakt noch mal haben nachbauen lassen. Man merkt das ja auch am Essen: Daimler ist ein Unternehmen, das den Aktionären vorleben will, dass nichts verplempert wird. Man lässt sich auch nicht lumpen, aber es hat schon alles etwas sehr Schwäbisches.

Muss das nicht desillusionierend auf die Aktionäre wirken: diese Hauptversammlung ist ihre einzige Möglichkeit der Einflussnahme, ja überhaupt die einzige Möglichkeit, sich zur Unternehmenspolitik zu äußern, und dann wird da jedes Jahr bis aufs Wort das gleiche durchgezogen?

Ich glaube im Gegenteil, dass das ein wichtiges Ritual ist, für das die Aktionäre dem Unternehmen dankbar sind. Ich kenne die ja nicht alle persönlich, aber an der Atmosphäre, auch daran, wie auf jemanden reagiert wird, der durch Zwischenrufe quer schießt, merkt man: die wollen ihre Ruhe: die wollen hier was essen, mal in so einem Autole sitzen und am Ende ihre Taschen heim tragen. Es ist gemein, so über 9000 Leute zu sprechen, da gibt es sicherlich auch viele, die das ganz anders sehen. Aber ich hatte am Anfang ganz stark das Gefühl, dass der Versammlungs-Saal ein sakraler Raum ist, und dass die Aktionäre diese Atmosphäre, den Konzern atmen wollen, und da soll nichts schief gehen. Die wollen den Vorstand erstmal vor allem toll finden.

Welche Erkenntnisse erhofft Ihr Euch für Euch selber und Euer Publikum von diesem Projekt?

Zu unserem Stück gehört ja nicht nur der heutige Tag der Hauptversammlung – an dem Manfred Bischoff uns den großen Gefallen getan hat schon in Minute 10 seiner Eröffnungsrede hervorzuheben, dass dies heute kein Schauspiel und keine Inszenierung sei, mit dieser Bemerkung war es schließlich in allen Köpfen
angekommen – es gehören die Gespräche im Vorfeld dazu, es gehört dazu, dass wir Aktionäre finden mussten, die durch unsere Theaterbesucher vertreten wurden und die Theaterbesucher mussten ebenfalls gefunden werden und es gehört schließlich die Aufmerksamkeit der Medien dazu.
Dass die pure Behauptung, das dies Theater sei, ein solches Beben auslöst, dass der Aufsichtsratsvorsitzende in seiner Eröffnungsrede meint, darauf Bezug nehmen zu müssen, das war für mich das größte Erlebnis.
Wie es unserem „Publikum“ geht, weiß ich nicht. Ich glaube auch, der Tag ist vor allem dann spannend, wenn man sich hier alleine, unabhängig von uns, durchbewegt, wenn man sich der Veranstaltung ein Stück weit übergibt und sich untermischt.
Wir überlegen noch, ob wir eine Art „Aufführungskritik“ an das Projekt anschließen, um unsere Erfahrungen auszutauschen. Wir haben das noch nicht konkret geplant, weil wir die Leute mit ihren Erfahrungen erstmal in Ruhe lassen wollen.
Aber wir kennen ja alle, die heute mit uns hier rein gekommen sind, namentlich und können sie anschreiben – zum Beispiel, um zu erfahren, was sie mit ihren Stimmkarten gemacht haben, ob sie sich der großen Mehrheit angeschlossen haben, die den Vorstand entlastet hat, oder nicht. Das wäre schon spannend zu erfahren.

Vielen Dank für das Gespräch!


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