By Sylvia Staude
26.01.2018 / Frankfurter Rundschau
Ein Schwarz-Weiß-Film aus dem Jahr 1960 zeigt einen jungen John Cage, wie er bei einem Fernsehauftritt „Water Walk“, nun ja, spielt. Er lässt einen Dampfkochtopf zischen, gießt sich was zu trinken ein (gibt später Soda dazu), schlägt auf einen Gong und lässt ihn in einer Badewanne ausklingen, drückt auf ein Quietscheentchen, steckt Eiswürfel in einen Mixer. Cage stellt eine hohe Vase mit Rosen in die Wanne und begießt sie. Cage schubst irgendwelche elektrischen Geräte (Radios?) von Tischen, sie zerschellen krachend auf dem Boden. Ziemlich viel geht zu Bruch in rund drei Minuten Aufführung.
Bei den Theatermachern von Rimini Protokoll und ihrem „Evros Walk Water“ ist das entsprechend angeleitete Publikum insgesamt sechs Mal aufgefordert, „Water Walk“ aufzuführen, aber die, äh, Instrumente sollen durchaus weiterverwendet werden können. Also das Spielzeugmaschinengewehr bitte nicht ins Wasser werfen.
Im Rahmen des kleinen Mousonturm-Festivals „Displacements. Andere Erzählungen von Flucht, Migration und Stadt“ gastieren die Riminis mit „Evros Walk Water“ jetzt im Frankfurt LAB. Mit dem Thema hat das Stück insofern etwas zu tun, als es 2015 in Zusammenarbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in einer Athener Unterkunft entstand: „Wir haben geübt, es zu spielen – mit Instrumenten aus unserem eigenen Haushalt und aus unseren Geschichten, die wir Euch erzählen“, heißt es zu Beginn.
Die Stimmen von acht Migranten hört man also als Mitwirkender über Kopfhörer (übersetzt wird von Schweizer Jugendlichen); die Jungs geben auch die Anweisungen zum Instrumenten-Gebrauch. Der eine „Zuschauer“ ist aufgefordert, mit einer Metallkette zu rasseln, die andere, einen Gummihai in das in der Mitte platzierte Schlauchboot zu werfen. Der eine soll Bier einschenken, die andere Papiertüten aufblasen, die nächste mit einem Paddel auf den Bootsrand schlagen, der nächste einen Schalter umlegen, so dass aus einer Tröte leises Stimmengemurmel dringt. Ziemlich schnell kommt einem eine solche Beschäftigung nicht mehr albern und schon gar nicht sinnlos vor.
Man ist auch nicht so beschäftigt, dass man nicht den Stimmen der Jungs und ihren teils herzzerreißenden Geschichten lauschen könnte. Der eine hat seit drei Jahren versucht, seine Mutter anzurufen, aber nie ging jemand ran. Der andere wurde von seinem Vater mit einer Waffe bedroht. Dem dritten jubelte ein Polizist Alkohol unter und verhaftete ihn dann. Der eine saß auf dem Weg nach Griechenland in einem kleinen Schlauchboot, der andere in einem großen mit 50 Flüchtlingen. Der 90-minütige „Evros“-Abend besteht aus Teil 1 & 2, denn zuletzt hört man Berichte der jungen Männer aus der Schweiz, Schweden, Dänemark, wo sie drei Jahre später leben. Einer lernt Koch, einer will Polizist werden, „Geheimpolizist“, um die Stadt zu schützen „wie ein Vater“. Kann man das für ein Happy End halten?
Frankfurt LAB: 26., 27. Januar. www.mousonturm.de