By Tom Mustroph
25.10.2019 / taz Download PDF
Die Anforderungen des analogen Lebens sind zuweilen auch schwer. Vor der Premiere von „Bubble Jam“, einer Performance für maximal 26 Mobiltelefonnutzer, fragt ein Mädchen am Snack-Stand im Foyer des Podewil: „Können Sie mir sagen, wie das hier aufgeht?“ Sie zeigt auf den Mülleimer, und hat das Zeichen für den Druckpunkt auf dem Deckel nicht entdeckt.
Bei den Smartphones, die dann im Theatersaal des Podewil vor jedem Zuschauersitz liegen, sind keine Bedienungshemmnisse zu entdecken. Smartphones sind angekommen, auch im Schulalltag. Gut also, dass Regisseur Daniel Wetzel, Mitgründer von Rimini Protokoll und selbst Vater einer 12-jährigen Tochter, ein Stück um dieses Accessoire des mobilen Lebens strickt.
Titelgebend ist das Onlinespiel „Bubble Jam“, recht verbreitet, um Zeit totzuschlagen, bei dem möglichst viele gleichfarbene Kreise, also Bubbles, nebeneinandergebracht und so zum Platzen geführt werden sollen. Der Bubble, die Blase, ist selbstverständlich auch Metapher für das Abgeschottetsein diverser digitaler Menschenansammlungen. Darum, was in diesem Bubble-Zustand alles so passieren kann, geht es dann auch.
Nachdem man per Smartphone zunächst persönliche Informationen abgegeben hat, geht es los, mit Quiz- und Befindlichkeitsfragen. Reizvoll ist, dass die Auswertung sofort in Mengendiagrammen erfolgt. 42 % der befragten Schüler verbringen laut Selbstauskunft 2 bis 4 Stunden im Internet, 23 % 5 bis 7 und immerhin 13 % mehr als 9 Stunden. Etwa die Hälfte nutzt ihr Smartphone vornehmlich zum Chatten, knapp ein Viertel, um etwas nachzuschauen, 20 % gamen vorwiegend. Immerhin 5 % geben an, gar kein Smartphone zu haben.
Nicht immer freilich wirkt die Auswertung glaubhaft. Als nach einer Multiple-Choice-Frage gemeldet wird, alle hätten das gleiche Feld angetippt, tönt es aus einem Kindermund gleich: „Fake News, Fake News“. Zustimmendes Murmeln derer, die ebenfalls andere Antworten angeklickt hatten. Der Realitätssinn ist also noch vorhanden.
Das Setting des Spiels ermöglicht auch diverse physische Interaktionen. Das Publikum wird in munter miteinander kommunizierende Gruppen geteilt. Geschichten über Opfer der digitalen Bildpraxis werden erzählt. Anlass ist die als Klassiker kursierende Story eines Mädchens, das eigene Nacktfotos in geschlossene Chaträume hochlud, die gegen ihren Willen im offenen Netz weiterverbreitet wurden. Fortan erwarteten sie an jeder neuen Schule, an jeden neuen Ort, an den sie flieht, diese Bilder bereits auf den Smartphones ihrer Mitschüler – ein Albtraum im ganz analogen Dasein.
Im finalen Aufklärungsteil wird schließlich demonstriert, was mit den Daten, die im Verlaufe der Performance eingegeben wurden, alles angestellt werden kann. Auch die Bubblestruktur selbst wird dekonstruiert. Denn brav hatten zuvor einzelne Gruppen Anweisungen befolgt, hüpften, simulierten Autofahren, taten lauthals Wohlgefühl oder Abscheu kund. Der anderen Gruppe waren allerdings andere Erklärungen über ihr Verhalten übermittelt worden wie Schule schwänzen oder sich nachts auf der Datingplattform Tinder herumtreiben – Dinge also, die nicht jeder gleich öffentlich preisgibt.
„Bubble Jam“ operiert mit vergleichsweise harmlosen Kontexten. Schock oder Erschrecken dürfte nicht ausgelöst worden sein. Die performative Anordnung lieferte aber doch Denkanstöße darüber, wie Wissen und Unwissen produziert und verteilt werden und welche Macht selbst in harmlos wirkenden Detailinformationen stecken kann. Als Baustein einer Medienaufklärung ist das Projekt durchaus gelungen, als Versammlung echter Menschen in echten Räumen auch. Und das ist ja immer noch ein Grundprinzip von Theater: guckend, denkend und fühlend Zeit miteinander zu verbringen.
Grips Podewil, bis 10.1., jeweils Mo – Fr, 9.00 und 11.30 Uhr
Die richtige Rezeptionshaltung, trotz Theater Foto: David Baltzer