By Georg Gruber
01.02.2016 / Deutschlandradio Kultur
"Alle 14 Minuten wird ein Mensch erschossen mit einer Kugel aus einem Gewehr von Heckler & Koch", sagt ein Friedensaktivist im Hörspiel des Rimini-Protokolls. Die Künstlergruppe zeigt mit "Situation Rooms" die deutsche Mitschuld an internationalen Konflikten auf.
Rimini Protokoll gelingt es tatsächlich Räume zu öffnen, beim Hörer im Kopf. Auch weil es um nichts Geringeres geht, als um den Zustand der Welt, mit ihren Kriegen und der Gewalt. Und wie Deutschland daran mit schuld ist – nicht zuletzt durch die Waffen, die hier produziert werden und weltweit im Einsatz sind.
"Es gibt keinen Krieg mehr auf der Welt, bei dem wir nicht beteiligt sind. Alle 14 Minuten wird ein Mensch erschossen mit einer Kugel aus einem Gewehr von Heckler & Koch."
Sagt der Friedensaktivist Ulrich Pfaff. Er ist einer der Akteure des Stückes, spielt sich selbst, ist ein Experte der Wirklichkeit. Ein Konzept, mit dem Rimini Protokoll schon lange erfolgreich arbeitet. Unterstützt wird Ulrich Pfaff von Jan von Aken, Politiker der Linkspartei
"Ich beende alle meine Reden im deutschen Bundestag mit dem immer gleichen Satz: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte."
Daneben kommen, ebenfalls unkommentiert, auch Menschen zu Wort, die vom Rüstungsexport leben, so wie der Manager eines Rüstungskonzerns, der seine Stimme verzerren ließ:
"Für die meisten Mitarbeiter gilt, ob sie Werkzeugmaschinen oder Waffensysteme herstellen, spielt eigentlich keine Rolle, für unsere Mitarbeiter steht die technische Herausforderung und der sichere Arbeitsplatz im Vordergrund."
Auch der Arbeiter einer Fabrik findet nichts verwerfliches daran, Waffen herzustellen:
"Früher haben wir Waschmaschinenteile gemacht, heute machen wir Hightech-Waffenteile."
Die Menschen in den Kriegsgebieten
Auf der anderen Seite treten Menschen auf, die sich in Kriegsgebiete begeben, um zu helfen, wie dieser Arzt von "Ärzte ohne Grenzen" in Afrika:
"Ist der Patient lebensgefährlich verletzt, bekommt er eine rote Farbe, das heißt er muss sofort operiert werden, während die grüne Farbe den Bagatellverletzungen zugeordnet werden kann."
Meist stehen die Aussagen für sich, ein Sprecherin hilft lediglich, die räumlichen Zusammenhänge zu verstehen:
"Der Arzt arbeitet nicht in Syrien. Du befindest dich in Sierra Leone, im Bürgerkrieg. Er ist der einzige Chirurg in der Hauptstadt Freetown. Durch die dünnen Wände des Raums dringt leise die Außenwelt, doch scheint der Raum dennoch vollkommen losgelöst, von dem, was außen passiert."
In der Bühnenversion konnten die Zuschauer ein verschachteltes Labyrinth von nachgebauten Räumen durchschreiten, vom OP-Saal in Sierra Leone in den Schießstand eines Berliner Schützenvereines wechseln. Die Zuschauer hatten dabei Tablet-Computer in den Händen, sahen Filme mit Interviews und erhielten konkrete Anweisungen.
"Du legst dich auf den sandigen Boden, so wie es der Soldat dir gezeigt hat…"
Und konnten so direkt die Perspektive der Akteure einnehmen, die per Video ihre Geschichte erzählten. So wie dieser ehemaliger Kindersoldat:
"Wir bewegen uns nicht, wir bleiben in Deckung, wir schauen, wir sehen, wie sie unsere Lehrer schlagen, sie foltern, ich versuche zu fliehen, aber sie schnappen mich, und sie sagen: nein, jetzt sind nicht mehr eure Väter die Soldaten, die Soldaten, das seit jetzt ihr. So bin ich zum Soldaten geworden."
Auch wenn das Hörspiel nun nur aus einer Auswahl der Tonspuren besteht, funktioniert es trotzdem, denn die Aussagen der Beteiligten, ihre Erzählungen sprechen für sich. Ein syrischer Flüchtling:
"Ich verfolge die Nachrichten aus meiner Heimat über Facebook, und ich sehe die Gräueltaten des Regimes, hunderte von Videos prasseln auf mich ein, ich sehe wie Zivilisten kaltblütig getötet werden, die Verbrecher genießen die Folter und das Töten."
Entstanden ist eine bedrückende Collage, die wie ein Kommentar klingt zur aktuellen Flüchtlingskrise und zur Debatte um Obergrenzen und Grenzschließungen. "Situation Rooms" ist eine Mahnung an diejenigen, die meinen, wir hier in Deutschland hätten mit den Krisen und Kriegen dieser Welt nichts zu tun.