By Andreas Klaeui
15.01.2018 / SRF 2 Radio Kultur
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Das Wichtigste in Kürze
Am Schauspielhaus Zürich widmet sich das Kollektiv Rimini Protokoll dem WEF, der globalen Wirtschaft und Politik.
In «Weltzustand Davos» lassen sie unterschiedliche Experten auftreten, die sich mit dem Thema auskennen.
Das Stück ist prägnant – lässt den Zuschauer aber am Ende verwirrt zurück.
Die Buchhandlung in Davos macht während der fünf Tage des WEF ihren Jahresumsatz. Aber nicht mit dem Verkauf von Büchern, sondern weil sie den Laden leerräumt und vermietet. Es sind solche Sätze, die noch ein bisschen nachhallen an diesem Abend am Schauspielhaus Zürich.
Davos Ende Januar: Ein Dorf im Ausnahmezustand. Scharfschützen auf den Dächern, horrende Preise. Der Helikopterlandeplatz ist jetzt ein paar Meter weiter draussen als in den Jahren zuvor – weil der Bauer, der das Feld vermietet hat, es mit seiner Preisforderung übertrieben hat.
Experten statt Schauspieler
Die Gruppe Rimini Protokoll arbeitet nicht mit Schauspielern, sondern mit Experten, wie sie sie nennen: Personen, die zum Thema etwas zu sagen haben, weil sie sich damit auskennen.
Wie zum Beispiel der frühere Landammann von Davos, Hans Peter Michel, der mit seinem einnehmenden und abgeklärten Auftreten nicht nur beim WEF, sondern auch hier im Theater so etwas wie die Gastgeberrolle übernommen hat.
«Wenn Sie vor 100 Jahren gefragt worden wären, was Ihnen zu Davos einfällt, hätten Sie natürlich zur Antwort gegeben: Tuberkulose. Wenn man Sie heute fragen würde, wäre die Antwort klar: das WEF.»
Die neue Mission laute: Committed to Improving the State of the World. «Die Welt wird als Patient gesehen, dessen Zustand man verbessern muss.»
Die Welt als Patient, der in Davos genesen soll – so sieht es der Landammann. Etwas anders klingt es aus dem Mund des Arztes und Tuberkulose-Spezialisten Otto Brändli:
«Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Medikamente, die die Tuberkulose heilten. Davos musste eine neue Geschäftsidee entwickeln: das WEF!»
Auch das Publikum hat seine Rolle
Es ist das Prinzip von Rimini Protokoll und der grosse Vorzug dieses Abends, dass er Meinungen nebeneinander stellt, Ansichten konfrontiert und Fakten gegeneinander aufrechnet.
Neben dem Davoser Landammann und dem Pneumologen tun das der Soziologe Ganga Jey Aratnam von der Universität Basel, die frühere UNO-Direktorin Cécile Molinier und die russische Unternehmerin Sofia Sharkova, die sich für Gleichstellung und Diversität engagiert.
Auch das Publikum wird involviert: Alle Zuschauerinnen und Zuschauer verkörpern mit ihrer Anwesenheit einen Konferenzteilnehmer, einen Wirtschaftskonzern oder eine NGO. Insgesamt sind es 193 Zuschauer, genau gleich viele wie Länder in der UNO.
Denn das ist das Gegenkonzept zu Davos an diesem Abend: die UNO, der weltweite Zusammenschluss der Länder, der auf ganz anderer Basis Lösungen für die gleichen Probleme sucht.
Nach Davos kommen vor allem Teilnehmer aus Europa und Nordamerika, «aber hier sind nicht alle Länder vertreten», sagt Cécile Molinier: «Wenn Sie den Zustand der Welt verbessern wollen und so etwas wie die Weltregierung sein wollen, dann ist die Welt hier nicht sehr gut vertreten.»
Die Diagnose ist pessimistisch
Es ist ein weites Feld, das Rimini Protokoll an diesem Abend beackert. Davos und seine Geschichte, das WEF und seine Widersprüche, die multinationalen Konzerne und die Vereinten Nationen.
Symptomatisch muten die Situationen an, in denen auf der Bühne alle wild durcheinander sprechen und niemand mehr etwas versteht. Rimini Protokoll lässt das Stimmengewirr stehen, das Durcheinander der Strategien.
Die Truppe legt zwar Entwicklungsstränge frei, bündelt die Stimmen dramaturgisch – aber stellt den Wirrwarr auch aus und gibt mithin eine ziemlich pessimistische Diagnose ab zum Weltzustand, wie er sich in Davos manifestiert.
Der Patient krankt weiter
Es ist beeindruckend: Die Riminis haben wieder viel recherchiert, sortiert und mit der Bühne, einem Eisfeld im Bergeskranz, auch eine prägnante Theatersituation für ihre Verhandlungen gefunden.
Sie haben des Guten aber eher zu viel getan. Stellenweise mutet der Abend arg didaktisch an. Wenn man am Ende trotzdem das Gefühl hat, man wisse nicht mehr als vorher und vor allem nicht, wie weiter, hat das indes wohl weniger mit dem Theater zu tun, als mit dem allgemeinen Zustand des Patienten: dem Zustand der Welt.