Der Zuschauer im Rampenlicht

By Adrienne Braun

15.07.2020 / www.die-deutsche-buehne.de

Die Kommandos sind entschieden: „Stopp“ sagt die Stimme im Kopfhörer, „nach rechts gehen“. Durch Gänge und Flure dirigiert sie einen, führt in Requisitenlager und Malsaal, Maske und Unterbühne. Wieder und wieder müssen Türen geöffnet werden, „vorsichtig“ mahnt die Stimme, „Jetzt auf den Hocker setzen“. Es ist ein eigenwilliges Erlebnis, zu dem das Schauspiel Stuttgart lädt. Denn ganz allein, nur mit einem Kopfhörer auf den Ohren, schickt Rimini Protokoll das Publikum auf Wanderschaft. „Black Box - Phantomtheater für 1 Person“ nennt sich der neue Streifzug durch die „Gedärme“ des Theaters, wie es einmal heißt, durch die menschenleeren Werkstätten und Probenräume. Einsamkeit statt Gemeinschaftserlebnis.

Es beginnt, wie jede Produktion, auf der Probebühne, auf der ein kleines Bühnenbildmodell steht mit einer einsamen Figur darauf. Der Regisseur Stefan Kaegi lässt die Zuschauer wie eine Kamera durch die Produktionsorte des Staatstheaters gleiten. Immer wieder lenkt die Stimme aus dem Off den Blick auf Details, auf Schilder oder durch die Luke des Souffleurs auf die Bühne. Dann wieder soll man sich genau das Treppenhaus neben dem Bühnenturm anschauen. Es könne sich auch in einem Parkhaus oder in einem Einkaufzentrum befinden, behautet die Stimme (Sylvana Krappatsch). Hier aber führt das schlichte, abgelebte Treppenhaus eben doch in eine besondere Welt, die der Illusion.

Wie so oft bei den Produktionen von Rimini Protokoll kommen auch bei „Black Box“ Expertinnen und Experten zu Wort: Maskenbildnerin und Dramaturgin, Bühnentechniker und Beleuchtungsmeister. Man hört sie im Gespräch mit Externen, einer Ärztin, einer Kuratorin oder einem Politikwissenschaftler. Es mischen sich Theorie und Praxis, Innen- und Außensicht. Hier geht es um Lacke und Stoffe, Betonbeläge und Tapeten, dort um das Phänomen Zeit oder die Vortäuschung von Natur, wobei die Exkurse zum Theater mitunter etwas bemüht geistreich wirken. Und das Inspizientenpult als „schon ziemliche Kontrollnummer“ zu bezeichnen, nun ja.

Stefan Kaegi hat den Rundgang mit beeindruckender Präzision konzipiert. Wie von Geisterhand werden Lichter passend zur Tonspur eingeschaltet oder Ventilatoren in Bewegung gesetzt. Immer wieder kommt es zu magischen Momenten, wenn sich plötzlich ein Globus zu drehen beginnt oder es vor dem Treppenhausfenster auf einmal regnet. Vor einem Kellerfenster eine gemalte Alpenlandschaft, auf die Schnee rieselt. Dann wieder wackelt ein Tierkostüm auf dem Kleiderständer mit dem Schwanz. Und auch wenn Michael Resch, der Direktor des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart, in seinem Statement fordert, dass das Theater etwas „zukunftsorientierter“ sein könne, beweist dieser Rundgang auf jedem Meter, dass es genau den Charme des Theaters ausmacht, dass hier Kreativität lustvoll und oft noch in Handarbeit ausgelebt und nicht programmiert wird.

Nachdem man gut fünfzig Türen aufgemacht hat, Treppenhäuser hinaufgekeucht, durch Werkstätten gewandert und am Inspizientenpult Platz genommen hat, steigt die Spannung. Der einsame Wanderer wird nun selbst zum Schauspieler, der beklommen auf die Bühne schreiten muss und mitten im grellen Scheinwerferlicht steht – still und konzentriert, wie die Stimme es diktiert. Zum Finale treffen sich einige der Zuschauer, die in kurzen Abständen den Parcours absolvieren: einer sitzt am Inspizientenpult, einer drückt den Knopf für den Nebel – und mitten im leeren Zuschauerraum schaut eine einzelne Person zu. Gleich wird man sich verbeugen müssen und ihren Platz übernehmen.
Es sind letztlich die Zuschauer, die das Theater zum Leben erwecken, so die Botschaft dieses geistreichen, aufregenden Theaterparcours, der aber doch einen bitteren Beigeschmack hat. Denn dass die Zuschauer nun eben selbst als Inspizient, Beleuchter und Darsteller aktiv werden müssen, wirkt wie Ironie des Schicksals. Vor wenigen Tagen wurde nun auch die Belegschaft des Staatstheaters in Kurzarbeit geschickt und fast der gesamte Corona-Ersatzspielplan gestrichen.


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