By Dirk Fuhrig
16.05.1998 / Frankfurter Rundschau
Der Stadtbus fährt am Mousonturm los. Wir bekommen „Fremdpersonal-Ausweise“ und Anweisungen: „... bitte bleiben Sie in der Gruppe...“ Auf die Wagenfenster sind Fotos geklebt, darauf Angestellte der Stadtwerke Frankfurt in ihren Büros. Aus dem Lautsprecher wird nus erklärt, dass in den Gebäuden der Stadtwerke 540 Topfpflanzen aufgestellt sind; sie gehören 48 verschiedenen Mitarbeitern.
Weit unten in der Gutleutstraße biegt der Bus in eine Einfahrt. Die Gittertür schiebt sich sachte auf, wir steigen aus und erhalten Kopfhörer und Sender. „...bitte bleiben Sie in der Gruppe...“, die Werksführung beginnt, und dann stehen wir vor einer großen Glasscheibe und blicken hinunter in den Raum mit dem riesigen halbkreisförmigen Schaltkasten, von dem aus die Geschicke der Stadt Frankfurt gesteuert werden. Die Rückfront ist mit einem wandfüllenden Rorschach-Testbild bemalt, und überall blinken Lämpchen, und hinter links steht ein Aquarium, und auf dem Zentralrechner stehen kleine Kaktustöpfchen.
„Ungunstraum“ – das sind Helgard Haug, Marcus Droß und Daniel Wetzel – spielen mit der Wahrnehmung der Zuschauer, verwirren die Sinne und vermischen die Grenze zwischen Welt und Theater. Was ist Realität, was Inszenierung, was Real-Satire?
Die Performance-Gruppe ist in Frankfurt bekannt von einem früheren „Bunten Abend“ im TAT und hat etwa auch in Belgien schon einmal eine Talsperre theatral besichtigt.
Die sogenannte „Netzleistelle“ der Frankfurter Stadtwerke wurde vor 21 Jahren gebaut, heißt es dazu auf einem Zettel, und die „Besuchergalerie“ wurde damals eingeplant, damit die Bürger die Wunder der Stromtechnik bewundern können. Da aber 1977 der heiße Herbst ins Land zog, wurde das Observatorium aus Angst vor Anschlägen erst gar nicht eröffnet.
Der Wahrheitsgehalt dieser Angaben lässt sich genauso wenig überprüfen wie die Frage klären, ob der Herr mit dem Namensschild „Wetzel“ wirklich so heißt oder ob das sein Theatername ist, schließlich heißt einer der Performance-Leute auch so. Der Mann ist ganz gewiss kein Schauspieler – oder ein unerreicht perfekter. Er hält uns am Overhead-Projektor einen folienreichen Vortrag über die Frankfurter Stromspitzen und –täler, während wir auf unseren Sendern seine Stimme ganz laut einstellen können oder Musik hören oder jemanden, der eine Geschichte erzählt von Günther, der immer die Nerven verliert.
Und wir finden diese Überlappungen sehr lustig und lachen und fast kaputt, weil alles so brottrocken ernsthaft und so irreal-real ist, und noch viel besser wird es, als der Chef von Herrn Wetzel dem lieben Kollegen eine Abschiedsrede wg. Pensionierung hält, so bieder und bürokratisch, wie sie der genialste Kabarettist nicht erfinden könnte. Poesie zwischen „Notstromwahlpult“, Diagonalbetrieb“ und „spannungslosen Stadtteilen“. Nein, spannungslos ist das hier ganz und gar nicht. Wir haben gelauscht und gelacht, geguckt und gekichert, viel gelernt über den Strom und wussten auch auf der Rückfahrt noch immer nicht, was nun passiert war. Und am Schluss hat der brave Herr Wetzel auf den Knopf gedrückt und die Straßenbeleuchtung für ganz Frankfurt angeknipst; und wir haben uns am Fenster die Nase plattgedrückt und mit großen Augen beobachtet, wie draußen die Laternen angehen.