By Werner Theurich
22.11.2014 / Spiegel online
Die Theatergruppe Rimini Protokoll tagte mit dem Thema Klima im Schauspielhaus Hamburg, und alle Zuschauer mussten mitmachen. Ständig tickte die Uhr, es gab viel zu tun - wie im richtigen Leben.
Ich bin Jemen. Naher Osten, über 500.000 Quadratkilometer groß, meist Wüste, fast 2000 Kilometer Küste, ein kommender Problemfall in Sachen Klimawandel. Ein Los hat mir das Land an der Südgrenze Saudi Arabiens zugeteilt, das Los per Eintrittskarte, das alle Teilnehmer dieser "Welt-Klimakonferenz" im Deutschen Schauspielhaus Hamburg zu Vertretern eines Staates macht, jeder ein Delegierter mit Verantwortung, Entscheidungsgewalt und eventuell Geld, das er oder sie zur Rettung des Klimas verteilen darf. Jeder muss mitmachen, keiner soll passiver Zuschauer sein, denn das ist das Prinzip der Theater-Performances des im Jahre 2002 gegründeten Theater-Kollektivs Rimini Protokoll.
Rund 600 Teilnehmer wuseln nach der kurzen Begrüßung durch das (echte) Wissenschaftlergremium durchs große Haus an der Kirchenallee gegenüber dem Hamburger Hauptbahnhof, im gnadenlosen 20-Minuten-Takt, zu Meetings, Diskussionen, Vorträgen, kurzen Bustouren und Happenings, es bleibt wenig Zeit zum Ausruhen, aber wundersamer Weise verläuft sich niemand.
Ob Hinterbühne A oder B, Marmorsaal, Bushaltestelle oder Keller, alle Teilnehmer rauschen zielgenau durch die Räume. Eine organisatorische Meisterleistung des Rimini-Teams, das allerdings über zehn Jahre Erfahrung mit solchen Veranstaltungen hat. Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel arbeiten als Team und auch einzeln, aber stets geht es um die Gegenüberstellung von Politik und Theaterformen. Die Realität soll im Theater stattfinden und stets als solche erkennbar bleiben.
Eine organisatorische Meisterleistung
Diese "Welt-Klimakonferenz" im Schauspielhaus findet passend zur nächsten realen Klimakonferenz in Lima statt, bei der sich im Dezember wieder fast 20.000 Teilnehmer in der peruanischen Hauptstadt treffen werden. Die Vorstellung von Rimini Protokoll in Hamburg ist also eine mikroskopische Angelegenheit dagegen, aber der Maßstab stimmt: Es sind echte Wissenschaftler, die an diesem Abend leiten und vortragen, echte Zeitzeugen und wahrhaftige Menschen aus den betroffenen Ländern und Vertreter verschiedener Interessengruppen, die ebenso authentische Texte, meist improvisiert vortragen. Auch wenn sich das manchmal wie Theater anhört.
Star des Abends ist entsprechend der Physiker Dr. Florian Rauser, Klimaexperte am Max-Planck-Institut und Koordinator für ein aktuelles Klimaprojekt in Deutschland, der so eloquent, pointiert und charmant durch den Abend führt, dass man ihn glatt für einen Schauspieler halten könnte. Aber muss das nicht auch sein, wenn man Tausende von Menschen auf ein schwierig zu erlangendes Ziel einschwören will? Das ist der geniale Trick vom Trio Rimini Protokoll, die ausgewählten Parts der Realität so stark für sich selber sprechen zu lassen, dass sie im scheinbar künstlichen Theaterrahmen plötzlich scharf konturiert und sinnlich erfahrbar werden.
Mit dem Bus durch St. Georg
Im Bus, der vor dem Theater zu einer Rundtour durchs Multikulti-Viertel St. Georg aufbricht, erzählt die Iranerin Dr. Schirin Fahti ebenso von ihrer Arbeit als Entwicklungsökonomin mit Schwerpunkt Klima, wie auch von ihrem Leben zwischen Deutschland und Iran nach der islamischen Revolution. Die Meteorologin Rosemarie Benndorf leitet einen kurzen Workshop zum Thema Strategieberatung: ein Gebiet, auf dem sie sich seit ihrer Mitarbeit in Sachen Landnutzung beim inzwischen historischen Kyoto-Protokoll bestens auskennt. Und weil jeder Teil des "Tagungsprogramms" nicht länger als die vorgegeben 20 Minuten dauert, gewinnt die Veranstaltung einen völlig untypischen Drive für Theaterveranstaltungen.
Willkommen daher der eingeschobene Lehrvortrag zum Thema Dürre, bei dem sich die Gruppen auf flache Liegen niederlassen dürfen, per Kopfhörer sanften Worten lauschen - und gleichzeitig von einer Riesensonne in Gestalt gnadenloser Bühnenscheinwerfer angebraten werden.
Zum Schluss der Absturz
Der immer größer werdenden Hitze in einigen Ländern Herr zu werden, ist Ziel von revolutionären Ideen, die gegen Ende der Tagung von Wissenschaftlern vorgetragen werden: Die Erde soll mit künstlichen Wolken und Flugzeugen, die bestimmte Gase verteilen, abgekühlt werden - Stichwort Geo-Engineering.
"Wir setzten der Erde sozusagen eine Sonnenbrille auf!", erklärt Dr. Bernd Hezel vom Potsdamer Institut für Klimaforschung (PIK) im Schlussplenum. Noch einmal fassen alle Experten aus ihrer Sicht die Ergebnisse zusammen, manches ist wohltönendes Blabla, andere sind gebetsmühlenartige Wiederholungen. "Es ist schon alles gesagt, nur nicht von allen", referiert der bekannte Klimaexperte Prof. Dr. Mojib Latif ein bekanntes Karl-Valentin-Zitat.
Am Schluss sollen die Geldsummen der Geberländer sowie konkrete Klimaziele der Arbeitsgruppen in einem großen Diagramm auf einer Präsentationsleinwand dargestellt werden. Aber das Laptop-Programm stürzt ab. Auch fast wie im richtigen Leben.
Danach wird es noch einmal ganz heiß: Alle Bühnenscheinwerfer strahlen als Riesensonnenkugel auf das Plenum, ein unangenehmes Gefühl. Schließlich soll man keineswegs entspannt den Saal verlassen. Auch wenn schließlich doch großer Beifall auf das Organisationsteam dieses "Welt-Klimagipfels" niederprasselte. Das Rimini Protokoll ist noch längst nicht abgeschlossen.