By Robert Schoen
27.07.2002 / Dampfradio Nr. 13
Wer es wieder mal nicht geschafft hat, in Kandidat Stoibers Kompetenzteam aufgenommen zu werden, um dort Pakete zu schnüren, Visionen zu entrollen oder die anderen ein bisschen anzukläffen, dem bot sich am 27. Juni die Möglichkeit, Mitglied eines Schattenparlaments ganz eigener Art zu werden.
Im Rahmen von „Theater der Welt“ hatte das Regieteam Rimini Protokoll Bürger dazu aufgerufen, die vorletzte Sitzung des Bundestags vor der Wahl im September mitzusprechen und teilzunehmen an einer Simultankopie in Sachen Demokratie. Eigentlich sollte das Ganze im ehemaligen Bonner Plenarsaal stattfinden, doch Bundestagspräsident Thierse wollte als Hausherr den Schlüssel - trotz zahlreicher Proteste - nicht rausrücken. Grund war seine „Sorge, dass durch das unmittelbare Nachstellen parlamentarischen Handelns an historischem Ort die Bedeutung der eigentlichen Plenardebatte im Deutschen Bundestag in den Hintergrund gedrängt wird.“
Rimini Protokoll – vier Absolventen des Gießener Studiengangs für Angewandte Theaterwissenschaft – ließ sich nicht entmutigen und richtete den Parlamentsklon kurzerhand in der Halle Bonn-Beuel ein.
Wernhild Wattenberg, die selbst 35 Jahre Mitarbeiterin im Bundestagspräsidium war, eröffnete parallel zu den Berliner Kollegen kurz nach neun die Veranstaltung, die sich bis weit nach Mitternacht hinzog.
Über Kopfhörer empfingen die Bonner den O-Ton aus Berlin und sprachen ihn nach. Keine Parodie, kein Hinzufügen, kein Weglassen, einfaches Nachsprechen.
So vielfältig wie die Tagesordnung der Bundestagsdebatte (von Arbeitsmarkt über Biergärten bis hin zu Windkraftanlagen), so unterschiedlich waren Herkunft und Intentionen der 237 Bonner Volksvertretervertreter: Kaufleute, Beamte, ehemalige Angestellte des Bundestages, Hausfrauen. Einige wollten damit ihrer Bewunderung für das Original Ausdruck verleihen, andere bestehende Vorurteile gegenüber bestimmten Abgeordneten hinterfragen. Manche interessierten sich dagegen eher für den Akt des Sprechens: was passiert, wenn ich mich als Medium zur Verfügung stelle? Wenn ich die Rede eines anderen durch mich hindurchfließen lasse, ohne den Strom vorher zu filtern? Auch um diese Frage etwas genauer zu untersuchen, interessierte sich Rimini Protokoll - die neben ihren Performances in unterschiedlichen Zusammensetzungen auch immer mal wieder Arbeiten für das Radio realisieren - dafür, aus dem Material ein Hörspiel zu machen. Helgard Haug und Daniel Wetzel, zwei der vier Performer (neben Stefan Kaegi und Bernd Ernst) erzählen in dem folgenden Gespräch mit Robert Schoen ein bisschen über diese Transformation vom Ereignis in Bonn/Berlin zum Hörspiel:
Schoen: Der Reiz des Originals liegt ja zum einen in der ausufernden Länge. Gemächliche Szenen wechseln sich ab mit Augenblicken höchster Verdichtung. Zum zweiten ist da natürlich der live-Charakter, der Einbruch des Unerwarteten. Wie rettet ihr das ins Hörspiel, in die Aufzeichnung, in ein Korsett von knapp einer Stunde? Oder, anders gefragt, welche Qualitäten gewinnt das Hörspiel gegenüber dem Event?
Haug: Von dem sportlichen Charakter des Stückes – dass es ums Durchhalten geht – bleibt im Hörspiel nicht viel. Es hat in dieser Form auch viel mit den Vorbereitungen der Teilnehmer zu tun. Aus welchen Gründen machen sie mit, wen wollen sie vertreten, wie kontaktieren sie im Vorfeld die Politiker um sich schulen zu lassen und an dem Material zu üben. Das ist auch ein Punkt, wo wir Lust hatten, auch noch mal nachträglich oder über den Schnitt zu inszenieren.
Wetzel: Uns geht's jetzt auch nicht so sehr um den Tag und alles, was da so dranhängt, mit der Vorgeschichte; dass da was verboten wurde und dann dennoch gemacht wurde. Es ging uns eher um das Prinzip, das wir da in der Konstellation Rimini Protokoll entdeckt haben: Dieses Nachsprechen, Mitsprechen von etwas. Und natürlich haben wir jetzt stundenlang Material von diesem Tag, aber für das Radio entwickeln wir das weiter. Wir haben nachträglich noch mal Aufnahmen mit Menschen gemacht, die daran beteiligt waren. Nicht, um mit ihnen Interviews darüber zu führen, wie das nun war, sondern weil man das fürs Radio anders greifen muss oder kann als für so einen Theaterraum.
Haug: Und dann eigentlich immer entlang der Frage, wie verhält sich die Vorlage zu der Kopie, wie reagiert ein Politiker darauf, wenn er einmal durchdacht hat, was es heißt, dass ihn einer wiederholt, dass es einen Simultanraum gibt und seine Stimme durch einen anderen Körper, einen anderen Apparat fließt. Das ist dokumentarisch. Und natürlich wird es fiktional, indem wir Konstellationen schaffen, die wir inszeniert haben oder die wir über den Schnitt inszenieren.
Wetzel: Und das knüpft direkt an unsere bisherigen Hörspielarbeiten - vor allem bei Apparat Herz und O-Ton Ü-Tek -, dass zwei Stellen an unterschiedlichen Orten, die miteinander kommunizieren als Sender und Empfänger hörbar werden. Diese Zweiortigkeit, Gleichzeitigkeit, die interessiert uns sehr.
Schoen: Gab es Kurzschlussgeräusche? Haben die Originale auf die Rückkoppelung reagiert?
Wetzel: Das Ganze war ja geächtet aus politischen Gründen, die eigentlich gar nichts mit unserem Projekt zu tun hatten. Die Parteien waren gerade dabei, sich interfraktionell über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zu einigen und deshalb durfte es da kein Störfeuer geben. Also sagten uns die Büros aus allen Parteien, wir versuchen gerade mit Herrn Thierse zu schmusen, da darf es gerade kein Ärger geben trotz Wahlkampf. Es gab aber einzelne Abgeordnete, die sich dafür eingesetzt haben. Die Justizministerin beispielsweise hat am Tag vor der Aufführung bei derjenigen, die sie vertritt, angerufen und gesagt, sie fände das Klasse und zugesagt, das Manuskript der Rede vorher noch zu faxen. Einer der Teilnehmer hat den Grünen-Abgeordneten Reinhard Loske angerufen und wollte mit dem üben. Hat er auch gemacht. Er hat den Abgeordneten dann auch noch gebeten, möglichst langsam zu reden. Loske hat ihm das auch zugesagt, aber nach unseren Messungen war er dann vor dem Plenum doppelt so schnell wie sonst.
Haug: Das bot uns eine so was wie eine Rahmenhandlung. Aber dass es mal erwähnt worden wäre in Berlin vom Präsidenten, dass es die Kopie gibt, das fand nicht statt. Das hätten wir uns gewünscht.
„Mal in den Mund zu nehmen, was man da gewählt hat“
Schoen: Wie kam es zum Hörspiel? Wurde das von Anfang an mitgedacht?
Wetzel: Ja. WDR 3 war sehr früh mit dabei und ist, im Gegensatz beispielsweise zu 3Sat auch trotz des peinlichen Verbots dabeigeblieben. Und für uns war das auch sehr plausibel, gerade auf Grund der Arbeiten, die wir vorher gemacht haben. Es ist eigentlich eine Form von Radio, die man da gesehen hat. Radiomachen ist ein sehr theatraler Vorgang und der Prozess des Radiomachens kann ein sehr schönes Stück sein. Bei Deutschland2 war es so, dass du Hunderte von Radioapparaten oder Radiokörpern gesehen hast. Die klinken sich ein, empfangen live aus Berlin, wie im Ü-Wagen auch, und geben weiter live nach Bonn. Sie sind auf ihre Art Transformatoren und funktionieren als Sender und Empfänger. Es gab auch ein paar Leute, die kamen zu den Castings und haben sich dagegen gewehrt. Gerade junge Leute aus dem linken Sektor, die haben gesagt, das ist unverantwortlich: "Ihr macht hier Menschen zu Sprechmaschinen; ihr entmündigt Bürger und zeigt sie auch noch dabei, und gleichzeitig klaut ihr den Politikern in Berlin das Wort." Es waren mehr die Demokratiefans, die das mal probieren wollten, was da übrig bleibt und wie sich das anfühlt. Der entscheidende Punkt – und was uns auch für das Radio interessiert – ist, dass man Leuten bei den unterschiedlichen Arten des Verstehens zuhören kann. Dass andere ist das, was über Parlamentarische Demokratie erzählt wird. Dass man seine Stimme, wie es so schön heißt, abgibt. Und die Stimme, die dann die abgegebenen Stimmen repräsentieren soll, vertritt dann aber so viele Stimmen, dass die einzelne darin ertrinkt. Die einzelne Stimme wird abgegeben und hat nichts mehr zu sagen. Das alles wollen wir hörbar machen.
Schoen: Theater, Performance, Happening, Politische Aktion?
Haug: Trifft alles zu...
Wetzel: ...bis auf Happening...
Haug: ...weil es die Teilnehmer auch ganz unterschiedlich gesehen haben. Wir haben ja auch ganz viel delegiert, und die kamen mit ihren Gründen in das Projekt und haben das getragen. Für die einen war es ein Theaterstück, für die anderen war es ein Demokratiebeweis, für die Dritten..
Wetzel: ...war es touristisch,
Haug: Leute, die einfach hängen geblieben sind und eigentlich nur in den Bundestag wollten.
Schoen: Haben die Leute nach dem Projekt eine modifizierte Art des Hörens bei sich festgestellt?
Wetzel: Wir sind da nicht reingegangen, um etwas zu zeigen. Und wenn wir eine Zielsetzung hatten, dann war es, Leute zu zeigen, die das machen wollen. Wir haben eine Spielanordnung zur Verfügung gestellt und die wurde belebt von Leuten, die sie sich angeeignet haben. Wir haben das Ganze dann von außen betrachtet und als "Fachleute" beratend zur Seite gestanden. Die Leute, die da mitmachen, die wollten wir zeigen und die wollen wir auch vorstellen in dem Hörspiel. Vielleicht ist das in der Parlamentarischen Demokratie keine schlechte Technik, mal in den Mund zu nehmen, was man da gewählt hat. Interessant fanden wir, dass du, sobald du als Sprecher bei dieser Versuchsanordnung anfängst, darüber nachdenken zu wollen, was du sprichst, draußen bist. Demokratie ist ein Lautsprechervorgang. Du sammelst Stimmen, bündelst sie und gibst sie dann wieder raus, und die ehemaligen Stimmgeber sind Ohren geworden. Das akustische Plebiszit ist schwierig. Hören oder Sprechen. Ein Satz, der in der Debatte öfter auftauchte, war: „Demokratie ist Zuhören“. Vielleicht ist es das.
Deutschland2
Radiostück von Helgard Haug und Daniel Wetzel.
Nach einem Projekt von Rimini Protokoll.
Produktion: WDR 2002. Red.: Martina Müller-Wallraf
Dauer: 54’00.
Dampfradio
Nr. 31, 2002, 13. Jahrgang
27.Juli 2002, S.2f.