Das flirrend tanzende Ich

Das Künstler-Kollektiv Rimini Protokoll, die seit zehn Jahren Experten des Alltags auf die Bühne bringen, inszeniert wieder in NRW

By Dorothea Marcus

01.12.2007 / Stadtrevue Köln

Stadtrevue: Rimini Protokoll hat in den letzten Jahren unglaublichen Erfolg gehabt, gerade wurde Ihnen der Faust-Theaterpreis verliehen. Ist Ihre Form der Wirklichkeitserkundung durch authentische Experten nun vollends etabliert?

Daniel Wetzel: Wir haben den Faust ja als „Sonderpreis“ bekommen. Da hat offenbar ein Weiterdenken angefangen demgegenüber, dass viele wichtige Arbeiten an den Theatern nicht in Regietheater-Kategorien passen. Und wir hoffen, dass es bald normal sein wird, dass es auch Preise gibt für Gruppenarbeiten, Stadtraumprojekte und überhaupt für Entdeckungen, wozu Theater heute gut sein kann.

Für „Das Kapital“ haben Sie auch den Mülheimer Stückepreis gewonnen. Kann man Ihre Stücke überhaupt nachspielen?
Wetzel: Das müssen die Nachgeborenen entscheiden. Wir würdens nicht empfehlen. Wir empfinden die Auszeichnung eher als Statement der Jury: dass Nachspielbarkeit nicht das Hauptkriterium sein muss, wenn man Erzählstrategien auf der Bühne bewertet. Dass wir auch noch den Publikumspreis bekommen haben, war dann das i-Tüpfelchen. Vor Mülheim sagte man uns: Das Publikum zerreißt euch in der Luft, das ist doch kein Drama! Es wurde aber das lebendigste Publikumsgespräch, das wir je hatten, weil die Zuschauer darüber reden wollten, was ihnen erzählt worden war. Unser Statement gegenüber dem Drama ist: die Urheber ihrer Gedanken sind anwesend. Und von wegen authentisch: die Verhältnisse sind nun mal alles andere als so fest gefügt wie die Kategorien im Theaterlexikon. Und weil dieses Ich nun mal so ähnlich flirrend tanzt wie die Verhältnisse, wollen wir Theater als Ort nutzen, wo man das erleben, aus einem anderen Winkel sehen und innerlich ein bisschen mittanzen kann.

Warum gibt es gerade so eine starke Sehnsucht nach dem Authentischen auf der Bühne?

Helgard Haug: Eine Qualität des Theater ist ja die Unmittelbarkeit. Da steht jetzt und hier vor mir ein Mensch und beginnt eine Geschichte zu erzählen, er bewegt sich, schluckt, bebt vielleicht ein bisschen. Verschanzt er sich hinter zu viel Können, rutscht diese Unmittelbarkeit wieder in die Ferne, man bewundert den Menschen in seiner Kunstfertigkeit. Ich hoffe aber, dass vor allem die Inhalte in unseren Stücken binden. Es geht um die Geschichte, die dieser Mensch vor mir erzählt, und zwar weil er sie erlebt hat – es geht um seinen Mut, sein Leben, sein Humor... Authentizität ist ein großes Wort, wenn einem 300 Augenpaare entgegenglotzen.

Das Schöne an Ihren Performances ist, dass man Einblicke in theaterferne Welten gewinnt, die ganz “normal" zum Leben gehören. Trotzdem kommt man sich als Theatergänger manchmal vor wie ein Zoobesucher.

Stefan Kaegi: Je inszenierter unsere Lebens- und Arbeitswelten sind, desto prickelnder wirds, zwei drei Schritte von der Bühnenrampe des Lebens zurückzutreten und das Leben anzuschauen, wie es auf der Weltbühne spielt. Im Gegensatz zu Tieren im Zoo wissen unsere Darsteller sehr genau, was sie tun. Wir entwickeln unsere Stücke ja gemeinsam mit ihnen als eine Art Selbstporträt. Oft will das Publikum nach einem Stück mehr wissen, so können sie es für sich selbst weiter schreiben. Aber Achtung: Je mehr aus dem Leben gegriffen unsere Geschichten sind, desto fiktiver wirken sie manchmal und ich würde den LKW-Fahrern bei Cargo Sofia X auch nicht immer glauben.

Damit kommen Sie nach Köln. Was ist das für ein Projekt?

Kaegi: An den Rändern Europas stehen tagelang kilometerlange Staus mit LKWs, vollgeladen mit all den feinen Sachen, die wir jeden Tag im Supermarkt kaufen. Rundherum sitzen deren Fahrer. Wie die Maultiere warten sie, dass die Zeit vergeht. Meist wissen sie nicht genau, was sie geladen haben, aber sie können Geschichten aus allen Ländern Europas erzählen: Von Tankstellen mit und ohne Duschen, Rastplätzen mit und ohne Dieben, von Bestechungsgeldern für serbische Polizisten und Ärger mit spanischen Laderampen. Einer der beiden Fahrer hat Bildschirme durch Russland gefahren, der andere Weichkäse in den Libanon. Unterwegs verdichtete sich in all den Jahren ihre Ware mit ihrer Biografie zu einem persönlichen Fenster zum Warenstrom von Billig- in Hochpreisländer. Diese Geschichten können sie nicht auf Bühnen erzählen, die gehören auf die Straße. So habe ich einen alten Traum wahr gemacht und einen Kühltransporter zu einem fahrbaren Zuschauerraum umgebaut. Eine Seite ist verglast, so dass man die Strasse wie ein Roadmovie vorbeiziehen sieht, dazu mischt ein DJ Balkanrhythmen und die Stimmen der Fahrer aus dem Führerstand.

Mit Cargo-Sofia X haben Sie weltweit gastiert. Gab es Unterschiede?

Kaegi: Gerade kommt der Lastwagen aus Syrien zurück. Hoffentlich, denn auf der Hinfahrt gabs an der türkischen Grenze Ärger. Jede Stadt ist eine neue Inszenierung. Man sucht neue Speditionen zum Andocken, neue Autobahntunnels, neue Kreisel als Kulisse für unsere Sängerin. In Madrid gings um Tomaten, in Avignon um Äpfel, in Warschau und Belgrad um Kleinbauern, in Kopenhagen um riesige Containerschiffe, in Dublin um die Innenstadt, in Hamburg führte die Tour am Autostrich vorbei, in Avignon mitten durchs Zigeunerviertel. Ich bin gespannt auf Köln.

Welche Idee steckt hinter dem neuesten Projekt „Breaking News“ von Helgard Haug und Daniel Wetzel?

Wetzel: Die Ausgangsidee war, auf der Bühne ganz viele kleine Weltbühnen zu haben: Fernseher, auf denen Sender aus den unterschiedlichsten Ländern „die Nachrichten“ senden. Aus den ganzen Sendungen ergibt sich ein irreparabel heterogenes Splitterbild: Widersprüchliches und erstaunliche Gegensätze. Wir wollten mit Leuten auf der Bühne arbeiten, die nicht Schauspieler sind, sondern so was Ähnliches: Übersetzer.

Wie kann ich mir das auf der Bühne vorstellen?

Haug: Wir haben als erstes Satellitenschüsseln auf das Dach unserer Probebühne installiert und versucht, drei Satelliten anzuschießen – wie es so schön heißt. Seither wird ‚zurück geschossen’. Die Nachrichten aus den verschiedensten Winkeln dieser Erde füllen die Bühne, machen sich breit und stellen sich gegenseitig in Frage. Da wir für jeden Theaterabend die tagesaktuellen Nachrichten zugrunde legen, erfüllt das eine große Theatersehnsucht von uns – tatsächlich wird sich jede Vorstellung elementar von den vorangegangenen unterscheiden.

Geht es diesmal um die „Außenpolitik“ anstelle von „Innenpolitik“ wie in der nachgestellten Parlamentssitzung 2002 bei Theater der Welt in Bonn?

Haug: Ein Kennzeichen unserer Nachrichten ist ja nun mal, dass viel zuwenig „Außen“ darin vorkommt und noch nicht mal von den entscheidenden Krisenherden kontinuierlich und vor allem nachvollziehbar berichtet wird. Da ist es doch sehr spannend, die Tür mal aufzumachen und einen „Boten“ aus Island, Syrien oder Indien mit seiner Fiktion von Nachrichten hereinzulassen. Wie schaue ich auf die Nachrichten aus meinem Kulturkreis, wenn ich im ‚Ausland’ lebe?

Wetzel: Der Schauplatz-Journalismus bedient ja das Bedürfnis am Nachrichten-„Authentischen“ und täuscht vor, aus erster Hand und unvermittelt zu berichten. Uns interessiert aber das Fiktive daran. Das Gefühl, nach 90 Sekunden Bildern und Texten von irgendwo darüber Bescheid zu wissen. Gerade im Umgang mit der sogenannten arabischen Welt ist diese Fiktion ziemlich brisant und tragisch.

„Breaking News“ wird 18.-20.1. 2008 im Schauspielhaus Düsseldorf gezeigt. „Cargo Sofia Köln“ fährt vom 15. bis 25. 1. vom Schauspielhaus Köln ab.


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