By Cathrin Elss-Seringhaus
23.10.2011 / Saarbrücker Zeitung
Die Saarbrücker Universität richtet zusammen mit dem Staatstheater eine Poetik-Dozentur ein, die sich nur mit Dramatik beschäftigt. Es ist die erste in Deutschland nur für Dramatiker. Den Anfang machen Pioniere des Doku-Theaters: Rimini Protokoll.
Saarbrücken. Rimini Protokoll hat Theatergeschichte geschrieben: das Berliner Trio Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel (Fotos: Rimini). Mit ihren „Experten des Alltags“ (Laiendarstellern) setzten sie vor rund zehn Jahren den heute allgegenwärtigen Polit-Realismus-Trend in Gang, waren also Avantgarde. Und auch schon in Saarbrücken kennen zu lernen, bei den Perspectives. „Kapital“ (nach Karl Marx) und „Cargo Sofia“ konnte man 2008 sehen, 2009 „Radio Muezzin“.
Längst sind die drei Theatermacher, deren Projekte auf journalistischen Recherchen beruhen und Doku-Material verarbeiten, selbst Establishment. Durften beispielsweise gerade das Stück zum 60-jährigen Jubiläum des Bundesverfassungsgerichts liefern, sind überhaupt mit allen nur denkbaren Theaterpreisen behängt. Im Sommer gab's den Silbernen Bären der Biennale in Venedig fürs Gesamtwerk. Nun kommt eine weitere Ehre hinzu, aus Saarbrücken. Die Universität des Saarlandes gibt Rimini Protokoll eine Poetikdozentur. Das klingt sehr hochtrabend und weckt höchste Erwartungen. Doch an ein echtes Lehrengagement ist nicht gedacht. Das Modell sieht anders aus. Rimini Protokoll wird keine Workshops oder Schreibwerkstätten im Stil üblicher Poetikdozenturen anbieten, sondern ausschließlich Vorträge halten, die später gedruckt werden. Vier an der Zahl, im Mittelfoyer des Staatstheaters. Das begleitende „Rimini-Protokoll“-Seminar zur Poetik des zeitgenössischen Dramas läuft in der Germanistik, bei Johannes Birgfeld, der die Idee entwickelte. Er sagt: „Die Drei sollen ihre Arbeit theoretisch reflektieren, nicht einfach nur als Praktiker Auskunft geben. Uns war wichtig, in die Stadt zu gehen und in die Öffentlichkeit zu wirken. Wir wollen vermitteln, dass ein ambitioniertes Gespräch aufregend ist, nicht wissenschaftlich-dröge.“
Die bei Birgfeld angesiedelte Dozentur ist mit einem Honorar von 5000 Euro verbunden, an dem auch die Stadt Saarbrücken, die VHS/Regionalverband und die VSE AG beteiligt sind. Mächtig viele Partner für die vergleichsweise geringe Summe. Es wurde ein Zeitraum von fünf Jahren verabredet. Laut Birgfeld strebt man eine Mischung aus eher „klassischen“ und postdramatischen Positionen an, Rimini Protokoll gebe also nicht die alleinige Richtung vor. Sprich: Es könnten sich demnächst auch Autoren wie Roland Schimmelpfennig in Saarbrücken einfinden.
Der Start freilich gelingt spektakulär, mit der singulären und beachtlichen Arbeit von Rimini Protokoll. Staatstheater-Intendantin Dagmar Schlingmann freut sich darauf, das Trio im Haus zu haben und dem Publikum ein erweitertes Spektrum von Theaterformen vorstellen zu können. Sie sagt: „Rimini Protokoll sind sehr spezielle Leute. Ihre Projekte haben immer ein wenig den Charme der Anarchie. Sie haben viel Schwung in die Theaterdebatte gebracht.“ Zudem fragt sich die Intendantin, ob die drei Theatermacher nicht auch für die traditionssatte Form des Vortrags in Saarbrücken eine Art „Performance“ kreieren oder sie gar theatral verarbeiten werden.