Claus Peymann und die RAF-Zähne

By Dirk Pilz

25.09.2007 / Berliner Zeitung

BISS I


Der Brief eines Mannes aus Karlsruhe vom 7. September 1977 geht so: "An den Bluthund Peymann! Du Dreckschwein kommst als Nächster dran. Vergasen sollte man Dich, am besten mit Chlor oder Phosgen." Ein "Untergrund" genannter Absender aus Oberhausen schreibt: "An das Direktorenschwein und die mörderische Drecksau Peymann! Wir schwören es Dir bei unserer Ganovenehre, dass wir Deine Fresse total zerschlagen werden." In einer Stuttgarter Zusendung steht: "Pisst Sie Schwein in Stuttgart überhaupt noch ein Hund an?" Gelächter im Publikum. "Überhaupt gehören alle Terroristen an Fleischerhaken aufgehängt." Entgeisterung im Publikum.

Claus Peymann ist wieder in Stuttgart. Dreißig Jahre nach seiner Intendanz am Staatstheater kommt er nun per Video zu Besuch. Er liest Briefe vor, jene Briefe, die das Theater damals erhielt, als die Republik im RAF-Fieber lag und Stammheim zum Hochsicherheitsbunker für die Verwahrung des Bösen wurde. Vier Ordner voll wüster Beschimpfungen, die Peymann mit diebischem Stolz vorträgt. "Sehr geehrtes Schwein!" (Peymann grinst.) "Du Pestbeule!" (Blick in die Kamera.) "Mephisto Sie dorthin bringen, wohin Sie schon längst gehören: in die Hölle." (Bedächtiges Kopfwippen.)

Es ging seinerzeit um Zähne, und zwar um RAF-Zähne. Ilse Ensslin, die Mutter der inhaftierten Gudrun, hatte 65 Prominente um Spenden für eine Zahnbehandlung der RAFler gebeten. Ein Brief ging auch an das Theater. Peymann hängte ihn aus: "Wer Geld überweisen möchte kann bei Frau Noack abgeben. C.P." Gut 600 Mark sollen zusammengekommen sein, gab Frau Noack später zu Protokoll, 30, vielleicht auch 100 Mark von Peymann. Und dann kamen die Briefe. Peymann wurde zum Super-Buh-Mann. Eine Waffe aus der Rüstkammer des Theaters verschwand - und tauchte beim Überfall der RAF auf die deutsche Botschaft in Stockholm wieder auf. Auch wenn Peymann nachweislich nichts damit zu tun hatte, wurde er von der erregten Bürgerschaft angepöbelt, am Ende verließ er die Schwaben vorzeitig und wurde in Bochum Intendant.

Wirklich fort aber war er eigentlich nie. Vor dreißig Jahren hat er in Stuttgart den "Faust" gemacht, und die Leute sprechen noch immer davon. Jetzt sitzen sie in der Inszenierung "Peymannbeschimpfung. Ein Training" von Rimini Protokoll, die innerhalb der "Endstation Stammheim"-Projektwochen des Staatstheaters den Zahnspenden-Fall wieder aufrollen. Mit einem Video-Peymann und über 50 Aktivisten des Turnvereins aus Stammheim.

Oben auf der Leinwand: Peymann, unten auf der Bühne: die Yoga-Gruppe, der Tischtennis-Verein, die Jazzdancer. Zwischendurch immer wieder Geschichten vom Leben neben dem Knast, und Rittmeister Rolf Otto zeigt per Google Earth, wo die Briefe abgeschickt wurden. "Ihre Handlungsweise stinkt zum Himmel!" Gerlingen, Bildstraße 4. "Sehen Sie sich im Verkehr vor. Sie haben doch auch Familie?" Eine anonyme Karte aus Celle. "Desch isch scho arg!", kommentiert eine ältere Dame in Reihe fünf.

Dass Rimini Protokoll dabei diesmal die vorgeführten Laien, die sie ja immer als Alltagsexperten verstanden wissen wollen, ihrer Hilflosigkeit überlassen, dass das Hüpfen und Geschichtlein-Erzählen mehr an peinvolle Silberhochzeitsdarbietungen erinnert und damit also eigentlich die Idee dieses mit der Authentizität des Faktischen jonglierenden Theaters verraten wird - was soll's. Der Abend schürt geschickt die Lust am Skandalösen.

Noch einen? Bitte: "Ihnen gehört die Mistgabel auf den Kopf gearscht, dass die Socken platzen!"


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Offending Peymann - a Training