By HARTMUT WILMES
16.01.2008 / Kölnische Rundschau
KÖLN. Das Theater ist ein Volvo FL 10 und parkt in der Glockengasse. Die wiederum liegt nach Auskunft der bulgarischen LKW-Fahrer Ventzislav und Nedyalko mitten in Sofia. „Willkommen in Bulgarien“ heißt es denn auch, wenn die Ladung (47 Fahrgäste in drei Sitzreihen) fest verzurrt und verplombt ist. In fünf Tagen, so die Trucker, erreichen wir Köln. Wenn alles gut geht. . . .
Verkehrte Welt am Schauspiel Köln. Dort präsentiert Stefan Kaegi, einer aus dem Kreativ-Dreigestirn „Rimini Protokoll“, sein Projekt „Cargo Sofia-Köln“, das mit anderem Titel schon durch andere Städte rollte. Die Fahrer sind wie die übrigen, vor Ort rekrutierten Akteure keine Mimen, sondern „Experten des Alltags“. So soll der Truck mit 340 PS („davon sind 30 bestimmt schon tot“, schätzt Ventzislav) in die Authentizitätslücke des Theaters stoßen.
Dies geschieht mit dramaturgischer Doppelkupplung: Während der Bus in die Nord-Süd-Fahrt einbiegt, surren auf der verglasten LKW-Wand Leinwände herunter, die Straßenszenen aus Sofia zeigen. Und unsere Piloten erzählen abseits jeder Fernfahrer-Romantik, dass sie sich mit Nescafé und Cola wach halten, wie sie Klopapier nach Serbien oder gefrorenes Fleisch nach Spanien fuhren - ohne Pause, weil die Kühlung streikte.
Schlaglichtartig erfährt man vom sagenhaften Aufstieg der Spedition Willi Betz, die schließlich den bulgarischen Staatsbetrieb Somat schluckte, dabei freilich wegen diverser Vergehen die größte Firmenrazzia der deutschen Polizeigeschichte und einen bis heute nicht abgeschlossenen Strafprozess auslöste.
So geht es virtuell durch Bulgarien - bis zur „serbischen Grenze“ am Niehler Hafen. Ein totes Gleis, eine verrammelte Kontrollstelle, aufgebockte Anhänger - man glaubt den Fahrern sofort die enervierenden Zoll-Wartezeiten, die man mit Zigaretten-Bakschisch verkürzen kann. Erste Station in „Serbien“ ist eine Halle der Spedition Anterist + Schneider, deren Mitarbeiter Hüseyin Özdemir freundlich per Mikroport erklärt, wann welche Autofelgen wohin verschifft werden. Kaegi schärft unseren Blick mit einer ausgeklügelten Zweifachbelichtung: Während der Warentreck durch Osteuropa per Video und Fahrerplausch plastisch wird, taucht man (ohne je aufstehen zu müssen) in die fast surreale nächtliche Malocher-Stadt Köln ein, in der ebenfalls die Güter zirkulieren.
Am Westkai im Containerhafen lupft Michael Auer per Kran eine 30-Tonnen-Kiste ebenso sanft an, wie er sie 100 Meter weiter wieder absetzt - und wir fahren bei diesem Alltags-Kunststück nebenher. Dann - wohl schon in „Slowenien“ - die Endstation Sehnsucht der Warenkette: Bagger wühlen mit Krakenarmen in fahlbunten Abfallbergen, und vom Tonband erklärt Michael Schmidt (Gewerbeabfallsortierung und -verwertung), wie aus entsorgten Hölzern „sauberer Hackspan“ wird - neue Fracht für die Trucks.
Das alles ist vom Regisseur Jörg Karrenbauer weniger inszeniert als logistisch arrangiert - obwohl: Da steht eine Frau mit Paket starr am Straßenrand, da singt eine exotische Sirene (Stanka Becheva) auf der Kreisverkehrsinsel im Nirgendwo schwermütige Lieder. Poetische Irrlichter.
Weiter gehts Richtung Heimat: Vollgas, Rockmusik - und eine Kontrolle der Autobahnpolizei. Doch Hermann Josef Bougé spielt im Blaulicht freundlich mit und weiß nach 30 Dienstjahren, wie mancher Trucker die Ladung sichert: „Die ist so schwer, die rutscht nicht...“ Trotzdem hat er Verständnis für die Fahrer mit dem Knochenjob. Wie wir.
Und nach einem Schlenker zum Dom (wo der gläserne Volvo selbst Fotomotiv wird) setzen uns Ventzislav und Nedyalko nach fünf Tagen (tatsächlich: zwei Stunden) wirklich in Köln ab. Sie hätten für diesen Marathon 200 Euro bekommen - und geben uns von ihrem Hungerlohn noch ein Gläschen Wodka aus.
Alternative Stadtrundfahrt, „soziale Plastik“, politische Transit-Lektion, realistisches Road Movie - der Abend ist vieles zugleich. Und eine gefährlich faszinierende Alternative zum „richtigen“ Theater.
Die Termine (bis 25. 1., tgl. 20 Uhr ab Schauspielhaus) sind ausverkauft, eine kleine Chance auf zurückgegebene Karten gibt es an der Abendkasse.