Bonner spielen Bundestag

"Theater der Welt" - ein Festival in Köln, Bonn, Duisburg und Düsseldorf

By Hana Cazenove

29.06.2002 / Berliner Zeitung

Eine der meistdiskutierten Veranstaltungen des ehrgeizigen Großfestivals "Theater der Welt" in den Städten Köln, Bonn, Duisburg und Düsseldorf hatte nichts mit der weiten Welt zu tun, sondern war eine sehr inländische Angelegenheit. Seit Monaten hatte das Projekt "Deutschland 2" Anlass zu Auseinandersetzungen gegeben. Geplant war, im ehemaligen Bonner Plenarsaal eine Berliner Bundestagsdebatte zeitgleich nachzuspielen, mit Bonner Bürgern als Besetzung. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sah "die Würde und das Ansehen des Bundestags" in Gefahr und verbot die Nutzung des Bonner Altparlaments.



Die Künstlergruppe "Rimini Protokoll" ließ daraufhin die Synchronisation der Debatte in einer Spielstätte des Bonner Schauspiels (Halle Beuel) stattfinden. Das Parlament war als Kulisse nur angedeutet, Pult und Sitze standen im Halbkreis, der Bundesadler prangte im Hintergrund. Das Szenario illustrierte eine, wie es schien, bewusst nachlässige Improvisation des Originals am Rhein. Vielleicht hatten die Initiatoren aus Enttäuschung über die Nicht-Bespielbarkeit des gewünschten Schauplatzes die Lust verloren. Möglicherweise aber waren sie schon so zufrieden mit dem Medienecho und der Diskussion im Vorfeld, die zum wesentlichen Teil der Kunstaktion wurde, dass sie die eigentliche Umsetzung nur noch mit halber Kraft betrieben.



Dass die Idee nicht interessanter blieb als das Ergebnis, war allein den Bürgern zu verdanken, die die Parlamentsreden synchron sprachen. Denn die Laiendarsteller für einen Tag vertraten die Volksvertreter überaus "würdig", das heißt ernst- und gewissenhaft. Manches Double erschien sogar "würdiger" als das Original. Das Stand-in machte sich im Allgemeinen keineswegs über den Hauptdarsteller in Berlin lustig. Heiterkeitseffekte stellten sich oft nur ungewollt ein: wenn etwa das fremde Wort im Dolmetschermund jeder pompösen Vortragsgeste entkleidet als das erschien, was es war - nicht besonders geistreich. Oder schlimmer noch: leblos. Aber auch das wirkte, genau besehen, mehr ernüchternd als heiter. Die Kopie entwürdigte die Vorlage nicht. Sie ließ gelegentlich deren Schwächen erkennen und darüber erschrecken.



Vielleicht hatte man in Berlin genau diesen Effekt befürchtet, vielleicht aber auch eine zu drastischeren Mitteln greifende Schlingensiefiade. Christoph Schlingensief war in der Tat nicht weit. Er kam mit einer neuen Aktion (nach "Tötet Möllemann", rief er nun zur Trauer um Möllemann auf) zum Theaterfestival ins Rheinland und Ruhrgebiet, darunter auch ins ehemalige Diplomatendorf Bad Godesberg. Er schlug vorm Schauspielhaus einen Stand auf und diskutierte mit Passanten, die sich vereinzelt in Streitgespräche mit diesem Meister der Totalirritation einließen. Zäh, aber doch gelegentlich schon etwas müde wirkend, arbeitet Schlingensief immer noch an seinem großen Projekt, sein Publikum (das oft ein rein zufälliges ist) durch Schock-Verabreichung aus dem Dämmerschlaf politischen Desinteresses und der Verweigerung eigener Haftbarkeit zu reißen. Die Skandalwirkung von Schlingensief war im Vergleich zu "Deutschland 2" jedoch bescheiden. Vielleicht, weil man schon an ihn gewöhnt ist.



Symptomatisch für das von Matthias Lilienthal kuratierte Festival erschien insgesamt weniger das in fast allen Stücken deutlich zu Tage tretende politische Engagement, als vielmehr die Suche nach verschiedenen Theaterformen, die sich unermüdlich in andere Kunst- und Lebensbereiche (wie auch Schlingensief und das Rimini Protokoll) vorwagten. Immer wieder sorgte das Festival für Überraschungen, vor allem, was die räumliche und geistige Situierung des Publikums betraf. Einmal wurde es aufgefordert, an einem runden Tisch mit den Schauspielern Platz zu nehmen ("Recent Experiences" von STO Union und Candid Stammer aus Kanada). Bei einer anderen Gelegenheit stand für jeden ein Bett bereit (im Kinderstück "Bucchettino" von SocÏetas Raffaello Sanzio aus Italien), verbunden mit der Aufforderung, die Augen zu schließen, denn "es gibt nichts zu sehen" (stattdessen aber das Märchen vom Däumling zu hören). Das Stück "And on the Thousandth Night" ("Forced Entertainment, England) begann erst um 24 Uhr, dauerte 360 Minuten und lebte ebenfalls vom Geschichtenerzählen. Für "Apocalipse 1,11*" (Teatro da Vertigem, Brasilien) mussten die Zuschauer in die Justizvollzugsanstalt Ossendorf fahren.



Die kanadische Truppe Sarah Chase Dance Stories entwickelte Performances aus Privatwohnungen, die den Künstlern von den Bewohnern zur Verfügung gestellt wurden. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Die Auswahl der Produktionen (40 Premieren in zehn Tagen an 27 Spielstätten) war bemerkenswert:nicht nur, weil die Grenzen der Länder und Kontinente überschritten wurden, sondern weil hier noch einmal nachdrücklich erfahrbar war, wie belebend die Grenzüberschreitung zwischen den Künsten sein kann.


Projects

Deutschland 2 (Theater)