By STEFANIE PETER
26.02.2009 / TAZ
Für sein "Radio Muezzin"-Stück recherchierte Stefan Kaegie in Kairo.
taz: Herr Kaegi, in Ihrem Stück "Radio Muezzin" bringen Sie Gebetsrufer von Kairo auf die Bühne des Berliner Theaters Hebbel am Ufer. Wie agieren die Muezzins, die sie mitgebracht haben, auf der Bühne?
Stefan Kaegie: Souverän und offen. Aber es gibt auch Selbstzensur. Die Muezzins wollen auf der Bühne zum Beispiel nicht Domino spielen wie sonst. Schließlich sagt der Prophet, man soll lieber beten. Schon am zweiten Tag haben sie aber gefragt, ob sie das Dominospiel nicht wenigstens mit ins Hotel nehmen dürfen. Sie wollen sich auch nicht vor dem Publikum auf den Boden legen. Und überhaupt einen guten Eindruck machen. Es stört sie, wenn auf der Videoleinwand hinter ihnen, wo Aufnahmen aus Kairo laufen, plötzlich ein Hund oder Esel zu sehen ist. Am Ende merkt man den Muezzins auf der Bühne an, dass sie selbst bestimmen konnten, wie weit ich an sie herankam. Manche weigern sich, über Familie, Politik oder Armee zu sprechen. So wird auch etwas deutlich von den Leerstellen und Tabus, die in Ägypten unter politischem Druck entstehen.
In Berlin-Kreuzberg, wo das Stück am HAU seine Uraufführung in Deutschland erlebt, ist die muslimische Bevölkerung in der Überzahl. Den Gebetsruf hört man dort aber nicht.
Ich könnte gut verstehen, wenn die Kreuzberger Muslime darauf bestünden, dass auch hier mal der Ruf aus den Lautsprechern kommt. In Kairo dürfen schließlich die Kirchenglocken läuten, obwohl die Kopten nur zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Es gab übrigens Festivaldirektoren, die gesagt haben: Super, wir stellen überall Lautsprecher auf und lassen die Muezzins rufen - dann haben wir einen schönen Skandal. Das scheint mir aber nicht sinnvoll zu sein. Unser gemeinsames Anliegen ist es, etwas näher an die ägyptische Realität zu kommen. Die Leute sollen ein bisschen mehr davon verstehen - urteilen können sie dann immer noch.
Warum haben Sie Muezzins ausgewählt - wäre der hochkomplexe Arbeitsalltag der Kairoer Taxifahrer nicht auch sehr interessant gewesen?
Die Entscheidung für die Muezzins hatte ich schon gefällt, bevor ich nach Kairo kam. Der Anlass dazu war ein Plan der Ägypter, ihren Gebetsruf künftig nicht mehr den vielen tausend Muezzins zu überlassen, sondern zentral auszustrahlen. Eine solche Zentralisierung hatte ich schon einmal erlebt: im jordanischen Amman. Da kam aus den trötigen Lautsprechern aller Moscheen zuerst ein Knacken, dann eine Art Abmoderation des vorhergehenden Radioprogramms und schließlich das "Allahu akbar" - nur eben dieselbe Stimme von allen Minaretten. Ich fragte mich damals: warum Radio? Man erklärte mir, der König von Jordanien habe sich für diese Maßnahme entschlossen, weil er das chaotische Stimmengewirr zur Gebetsstunde satt hatte.
Das hört sich nach einer gängigen Rationalisierung an.
Es war eine Transformation wie überall, wo Menschen durch Maschinen ersetzt werden. Rituale, Gespräche oder Ticketverkäufe am Bahnhof werden von Automaten übernommen. Ich dachte mir allerdings, dass diese Veränderung in einer so alten Kulturstadt wie Kairo besonders auffallen würde.
Was wird denn dann aus all den arbeitslosen Muezzins?
Offenbar werden sie zu einem großen Teil gar nicht arbeitslos, sondern weiterhin ihren zahlreichen Nebenbeschäftigungen nachgehen, die sie jetzt auch schon haben. In einer Moschee fallen ja die unterschiedlichsten Arbeiten an.
Wie sieht das Berufsbild des Muezzins aus?
Ein Muezzin ist kein Imam, er hält also keine Freitagsgebete. Er ist so etwas wie der Pförtner der Moschee. Oder der Hausmeister und oft auch für den Putzdienst verantwortlich. Bisweilen gibt er Koranunterricht für die Kinder in der Umgebung, und manche nehmen auch die Schuhe am Eingang in Empfang und passen auf, dass sie nicht geklaut werden. Das kommt ziemlich häufig vor. Alles in allem haben Muezzins, trotz der schlechten Bezahlung, einen relativ prestigeträchtigen Job. Einige sagen, dass der Muezzin im Paradies so viel Platz bekommen wird wie er Fläche mit seiner Stimme abdeckt. So viele Menschen er zum Beten gebracht hat, so hoch wird dann sein Hals sein. Die für den zentralisierten Gebetsruf Adhan ausgewählten Gebetsrufer - es sind ungefähr 30 -, die dürften im Paradies also einen Riesenhals haben. Man kann dieses transzendentale Versprechen natürlich auch als willkommenen Trost sehen für die miese irdische Bezahlung.
Es gibt aber auch unter den Muezzins echte Stars.
Einen fand ich besonders interessant, schon in unserem Auswahlverfahren. Er sprach ganz leise ins Mikrofon, sah dabei aber sehr kräftig aus, wie ein riesiges Kind. Und stellte sich vor als Vizeweltmeister im Koranrezitieren. Ich habe ihn in einer sehr großen Moschee in Südkairo, der ältesten in ganz Afrika, besucht. Dieser Muezzin rezitiert das Vorspiel zum Freitagsgebet vor 20.000 Leuten. Zugleich gehört er zu einer neuen Generation, die ganz selbstverständlich mit Technologie umgeht. Er benutzt das Internet, fliegt um die Welt, weil er bis nach Kanada zu Ramadanfeiern eingeladen wird, um dort vorzutragen. Bei Events der High Society den Koran zu zitieren, damit verdient er gutes Geld. Er führt ein ganz anderes Leben als die anderen drei Muezzins.
Ägypten ist ein Kulturland aber auch ein Polizeistaat - und außerdem die Wiege der islamistischen Muslimbrüder. Das Goethe-Institut, mit dessen Hilfe Sie das Projekt realisiert haben, agiert dort also in einem sehr sensiblen Umfeld.
Zunächst hat es sich daher auch sehr vorsichtig verhalten. Jeder, der in Ägypten Kultur veranstaltet, steht schließlich unter Beobachtung. Jedes Theaterstück unterliegt der Zensur. Gerade weil meine Arbeit mit Religion zu tun hatte, wurde genau abgewogen, wie man das machen kann. Für mich war das aber von Anfang an kein Projekt über Religion, sondern über Menschen: Staatsangestellte, die ein Ritual vollziehen, für das sie eine religiöse Ausbildung benötigen, die kaum über das hinausgeht, was ein durchschnittlicher Muslim im Koranunterricht gelernt hat.
Wie haben die Imame Ihre Idee aufgenommen?
Grundsätzlich fanden es die Imame nicht verwerflich, dass Muezzins auf einer Theaterbühne von ihrer Arbeit erzählen. Besonders als sie erfuhren, dass ansonsten keine Schauspieler mit von der Partie sind. Nichts hassen sie mehr als das falsche Leben, das die Soaps im Fernsehen vorgaukeln. Die Imame fanden auch, dass ein europäisches Publikum ruhig sehen soll, dass ein religiöses Leben und Fanatismus nicht dasselbe sind.
Und die Regierung?
Hier wurde es komplizierter. Man wollte nämlich nur das Beste zeigen - den Vorzeigemuezzin. Dass wir zum Beispiel auch mit einem Blinden arbeiten, kam nicht gut an. Aus dem Religionsministerium hieß es, ein blinder Muezzin - das sei im Ausland schlecht für das Ansehen Ägyptens. Generell herrscht da ein großer Druck: Wenn ein Ägypter ins Ausland reist, erwartet man von ihm, dass er erzählt, dass Kairo eine saubere Stadt ist, ohne Armutsprobleme und so weiter. Unsere Inszenierung sollte aber kein Hochglanzprospekt werden. Glücklicherweise hat dann trotz dieser Widerstände alles so geklappt, wie wir das wollten.
Wie haben Sie die Muezzins kennengelernt, wie haben Sie Zugang zu ihrem Milieu bekommen?
Auf eigene Faust. Ich bin mit einem Übersetzer in Moscheen gegangen und habe die Muezzins gefragt, seit wann sie ausrufen, was sie vorher gemacht haben und so weiter. Dieses Interesse hat sie sehr stolz gemacht, und so sind sie zu den ersten Proben mitgekommen. Manchmal waren die Imame gekränkt, dass ich nicht sie gefragt habe. Manche von ihnen meinen, dass sie alleine etwas zu sagen haben. Manche waren aber dafür, dass mit den Muezzins auch einmal die Randfiguren der Moschee ins Rampenlicht rücken.
Kairo hat 30.000 Gotteshäuser. Aus welchen Moscheen kommen die Imame?
Die großen, auch von Touristen besuchten Moscheen habe ich eher gemieden. Ein Muezzin, der blinde Houssein, kommt aus einer Moschee auf der Nilinsel Zamalek, wo wir das Stück auch uraufgeführt haben. Die beiden anderen kommen aus Außenbezirken. Einer arbeitet in einer Gebetsecke, die einfach in ein Gebäude hineingebaut ist. In großen Moscheen herrscht ein ganz anderer Betrieb, da arbeiten manchmal zwanzig Leute.
Sie haben einen Muezzin mit nach Berlin gebracht, der auch nach der Zentralisierung noch ausrufen wird.
Den haben wir über das Ministerium gefunden. Dort wollte man sowieso, dass wir nur mit den allerbesten Muezzins arbeiten. Nach einem Vorgespräch habe ich mir einige der Auserwählten angehört.
Wie wird der zentralisierte Gebetsruf künftig vonstatten gehen?
Er kommt nicht mehr von Tausenden Moscheen aus, wo jeweils einer unten am Mikrofon steht und oben scheppert es raus. Es wird jeweils nur ein Muezzin sein - entweder in einem Radiostudio oder einer Moschee mit Sendeanlage, das weiß man noch nicht genau -, der zum Gebet ruft. Der Live-Ruf wird dann per Radio an alle staatlichen Moscheen in Kairo übertragen.
Wie steht es um die politischen Gründe für die Zentralisierung des Gebetsrufs?
Der Staat will den Leuten in den Randbezirken das Mikrofon aus der Hand nehmen. Denn hier sind ja die Extremisten, darunter die Muslimbruderschaft, besonders stark. Die Regierung will die Moscheen unter Kontrolle haben, und hinter diesem Verhalten steht auch der Einfluss aus Europa und Amerika.
Woher kommt eigentlich der Muezzin?
Der erste Ausrufer war ein befreiter Sklave. Angeblich hat Mohammed mit seinen Freunden darüber beraten, wie man die Leute zum Gebet bringt: Die Christen haben ihre Glocken, die Juden die Trompete - die Muslime wollten etwas anderes: sie wollten die Stimme. Und die schönste Stimme hatte eben dieser Sklave. Nur darum - und nicht etwa darum, welcher Klasse er angehörte - ging es.
Sind Muezzins besonders fromme Männer?
Sie sind sehr gläubig. Aber würde eine Kirche einen Atheisten als Küster einstellen?
INTERVIEW: STEFANIE PETER