By Jakob Hayner
19.12.2024 / Die Welt Download PDF
"(...) Selbst die passenden Theaterabende zur Berliner Krisenstimmung laufen in Wien: Am dritten Adventswochenende feiern am Volkstheater der Die-Welt-ist-aus-den-Fugen-Abend „Ever Given“ und am Akademietheater die Wirtschaftsprüferkomödie „Der Revisor“ ihre Premiere. Die deutsche Theaterkritik ist an beiden Abenden auffällig zahlreich vertreten. Erste Absetzbewegungen? Die Berliner Theater haben bereits angekündigt, wegen der Kürzungen zahlreiche Produktionen zu streichen. Und weniger Premieren bedeuten weniger Theaterkritiken. Also weniger Aufmerksamkeit fürs Theater.
„Schluss. Aus. Zusammenbruch. Ende. Kollaps. Finales Versagen.“ So flimmert es bei „Ever Given“ am Anfang über die Leinwand. Es ist ein Abend über das Gefühl der Katastrophe, den Helgard Haug von Rimini Protokoll nach dem Containerschiff „Ever Given“ benannt hat, das vor drei Jahren über Tage den Suezkanal blockierte. Die ins Stocken geratenen Lieferketten werden zur Metapher: Nicht nur die Warenströme, auch die Menschen hängen fest, auf der Flucht an Grenzen oder in der Sprache beim Stottern. „Ich bin ein Störfaktor, eine Havarie“, sagt die stotternde Künstlerin Marianna Vlaschits.
„Ever Given“ zwingt den Zuschauer förmlich zur Entdeckung der Langsamkeit. Man muss sich auf die Unterbrechung des Rhythmus einlassen. Und wird dafür mit poetischen Bildern belohnt. In einer Szene folgt man über Minuten nur dem Fallen einzelner Wassertropfen, sonst nichts. Die theatrale Dekonstruktion des Just-in-Time-Regimes beschwört zugleich mit der Musik von Barbara Morgenstern die Kraft der Kunst zur Unterbrechung: „Die Welt steht still und lauscht.“ Ein Wendepunkt im mythischen Kreislauf von Waren und Menschen, der verhängnisvoller ist als letztlich der Kollaps? (...)"