By Daland Segler
28.01.2006 / Frankfurter Rundschau
Drei Dinge brauchte der junge Mann in der Nachkriegszeit: Fußball, eine Briefmarkensammlung und eine elektrische Eisenbahn. Beim Kampfspiel durch die Benutzung der Ellenbogen erfolgreich sein, Sammeln als Übung für das Sichern angehäuften Eigentums, und Modellbauspiel als Erschaffung der eigenen Welt - so die Sozialisation im Wirtschaftswunderland. Fußball und die Fähigkeit, sich rücksichtslos durchzusetzen, gelten heute mehr denn je, das Sammeln ist dem Spekulieren mit größeren Papieren gewichen, und die Beschäftigung mit kleinen Lokomotiven ist nun weitgehend das Hobby betagter Herren, die eine reale Welt, und sei sie noch so klein, der virtuellen vorziehen.
Verständlich also, dass der Schweizer Regisseur und Theaterbastler Stefan Kaegi bei der Suche nach Personal für sein Projekt Mnemopark - eine Modelleisenbahnwelt auf ältere Jahrgänge zurückgriff: Die Darsteller sind mit einer Ausnahme sämtlich pensioniert, und sie frönen dem Basteln von Ländern, Städten und Landschaften im Maßstab 1:87 ausgiebig, weil sie alle Zeit haben - auch für ein Theaterstück, das durch halb Europa reist und jetzt Station im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm machte.
Zugleich aber braucht Kaegi Menschen, die Zeugen der Geschichte der vergangenen 50 Jahre sind, denn er will von Entwicklungen erzählen (lassen), vom Fortschritt und seinen Folgen und damit auch von der Gegenwart, die ja nur zu deuten ist durch den Vergleich mit der Vergangenheit: Mnemopark - das ist ein Ort des Erinnerns.
Das fällt leichter, je überschaubarer die Welt ist, in der einer gelebt hat, und die Heimat des Regisseurs eignet sich da besonders: Es gehört zur Identität der Eidgenossen, sich als verschworene Gemeinschaft zu begreifen und sich mit Stolz abzugrenzen gegenüber dem Ausland - sieht man vom Strom des fremden Geldes ab, den man seit je lieber ins Land gelassen hat als den Strom fremder Menschen. Und die Topographie des Landes tut ein Übriges, dass dieses Bergvolk unter sich bleibt. Dass es zugleich mitten in der Welt und Teil derselben ist, kann Kaegi mit gründlich recherchierten Zahlen belegen, und auch wenn die Darsteller da manchmal zu Aufsagern werden, so wandelt die Einbindung ins Spiel diese Belehrung doch zur Lust der Erkenntnis, wenn etwa der kleine Zug entgleist: Er ist an einem Stück Speck hängen geblieben, das vom Schweizer "Fleischberg" auf die Gleise fiel.
Denn das ist Kaegis Kunst, das Verweben von Form und Inhalt, von Spiel und Ernst, Mensch und Materie: Die vier Männer und zwei Frauen erscheinen in eingespielten Filmen auch in ihrer echten häuslichen Umgebung oder werden zu Figuren der Modelleisenbahnwelt. Denn wenn das Setting auch unzeitgemäß erscheint, so nutzt der Regisseur doch aktuelle Technik: Ein Apple-Notebook steuert die Prozesse, und die Lok auf den Schmalspurschienen transportiert eine Kamera - mit verblüffender Wirkung, wenn bei der Fahrt im Film neben den Geleisen scheinbar überlebensgroß die Köpfe der Darsteller auftauchen oder eines der beiden Kaninchen, die neben den Schienen hausen. Ihre Namen: Import und Export.