Zimmer mit Aussicht

Von Karola Hoffmann

27.05.2002 / Hannoversche Allgemeine Zeitung

Das Regieteam Rimini Protokoll probt für das Stück „Sonde Hannover”, das beim Festival „Theaterformen” läuft, und erklärt das Stadtbild von Hannover zur Bühne.

Der Ausblick über die Dächer von Hannover ist beeindruckend. Zehnter Stock Kröpcke-Center: ein fast leerer Raum. Auf einem Tisch reihen sich Mischpult, Laptop, Mikrofone, Feldstecher. Ein Lautsprecher lehnt an der Wand. Der Blick aus dem Fenster wird eine zentrale Rolle spielen.



Das Regieteam Rimini Protokoll probt für das Stück „Sonde Hannover”, das beim Festival „Theaterformen” läuft, und erklärt das Stadtbild von Hannover zur Bühne. Zentraler Punkt der Aufführungen ist Hannovers Treffpunkt, der Kröpcke. Das Theaterfestival, das vom 31. Mai bis 15. Juni in Braunschweig und Hannover läuft, steht für die Formenvielfalt des jungen Theaters. Daniel Wetzel, Helgard Haug, Stefan Kaegi und Bernd Ernst, die alle den berühmten Studiengang Angewandte Theaterwissenschaft an der Universität Gießen absolviert haben, beteiligen sich mit einer Art Science-Fiction-Stück aus der Vogelperspektive. Der Zuschauer wird zum Beobachter, der verunsichert werden soll.



Die Theatergruppe Rimini Protokoll macht derzeit durch ihr Projekt „Deutschland 2” von sich reden, bei dem eine Berliner Debatte fast synchron in Bonn kopiert werden soll, Laiendarsteller sollen die Worte der Abgeordneten nachsprechen. Aber Bundestagspräsident Wolfgang

Thierse will den alten Bonner Bundestag nicht zur Verfügung stellen, er sieht die Würde des Hauses in Gefahr. Die Verhandlungen laufen noch. Ob im Wasserwerk oder im Schauspielhaus, das Projekt wird am 27. Juni stattfinden.



Zuvor stehen noch die Proben in Hannover an. Die laufen ganz anders ab, als man sich Theaterproben so vorstellt. „Alles Akteure, aber sie wissen es nicht”, sagt Wetzel und blickt über den Kröpcke. Drei Darsteller sind dort unten unterwegs, ausgerüstet mit Kopfhörern, Mikrofonen und Walkie-Talkies. Mit Feldstechern verfolgen die Regisseure – und später die Zuschauer – das (Theater-)Geschehen.



„Sonde Hannover” – die Macher nennen es „dokumentarisches” Theater. Mit distanziertem Blick wollen sie Räume, Situationen oder Rituale erforschen. Untersuchungsobjekt ist der Kröpcke, Ziel ist es, sich von der vertrauten, banalen Situation durch einen Blick von oben zu entfernen. Journalistische Recherche stützt das Dokumentarische: Rimini Protokoll

hat einen Kriminalisten, einen Detektiv und einen Wirtschaftsexperten aus Hannover zu dem Platz befragt und ihre Kommentare auf Band aufgenommen. Diese Gespräche, Geräusche und Musik bekommen die Akteure über Kopfhörer, die Zuschauer im Hochhaus über Lautsprecher

eingespielt.



Die Regisseure beobachten das Geschehen auf dem Platz. Eingespielt wird das Detektiv-Gespräch. Der Experte beschreibt, wie er einen Dieb sichtet. Einer der Mitspieler schlüpft in die Rolle des Verdächtigten. Die Darsteller übernehmen ihre Rollen je nach Kommentaren, Gesprächen, Geräuschen und Einspielungen. Die Beobachter verfolgen die Aktionen mit Feldstechern, den vorbereiteten Ton und über Mikros zugespielte Geräusche aus dem pulsierenden Leben der Stadt hören sie über Lautsprecher. Zudem beschreibt Haug ständig Menschen auf dem Platz, der dadurch einen Suchbild-Charakter bekommt. Über das filmhafte Bild von der City wird in der Beobachtungszelle eine synchronisierte „Folie” gelegt.



Von oben betrachtet reagieren nur wenige Passanten, mehr oder weniger interessiert und irritiert. Wieder in der Basisstation, werden die Darsteller befragt. Neue Erfahrungen sollen noch in die Aufführungen mit einfließen. Ziel der Probe ist es zu schauen, ob Aufnahmen, Schaltungen und Orte sinnvoll gewählt sind. Das Timing zwischen Synchronisation

und Aufnahmen auf dem Platz wird getestet. Aktionen werden wiederholt, Änderungen entwickelt.



An sechs Tagen wird das Kröpcke-Center zur Beobachtungsstation. In acht Aufführungen kommen dabei nur jeweils 30 Zuschauer in den Genuss der exklusiven Perspektive. Die Besucher erwartet ein außergewöhnliches Erlebnis: Trotz räumlicher Distanz werden sie sich mit den Akteuren einen akustischen Raum teilen.



Das Festival „Theaterformen” startet am 31. Mai in Braunschweig und am 6. Juni in Hannover. Die erste Aufführung von „Sonde Hannover” findet am 8. Juni um 16 Uhr statt. Informationen im Internet unter www.theaterformen.de, Karten unter Telefon (0511) 9999-1111.



Karola Hoffmann


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