Wo jeder Typ so sein kann, wie er sein will

»Chinchilla Arschloch was was« thematisiert Tourette-Syndrom im Bockenheimer Depot Frankfurt

Von Bettina Kneller

17.04.2019 / Main-Echo.de

»Und man sie­het die im Lich­te, die im Dun­keln sieht man nicht«, hat Ber­tolt Brecht einst in sei­ner »Drei­gro­sche­n­oper« ge­dich­tet. Drei Män­ner. Drei Män­ner, die ei­gent­lich auf­grund ih­rer Er­kran­kung nicht un­be­dingt das Ram­pen­licht su­chen, sich aber doch stell­ver­t­re­tend für vie­le an­de­re sicht­bar ma­chen.

 

Benjamin Jürgens, Christian Hempel und Bijan Kaffenberger haben das Tourette-Syndrom und sind keine Schauspieler - und stehen doch in »Chinchilla Arschloch was was« im Bockenheimer Depot in Frankfurt auf der Bühne. 

Es beginnt mit Musik. Schon vor Beginn des Stückes dringen leise Klänge an das Ohr - rüde werden die immer wieder unterbrochen von Klick-Lauten und lauten Rufen von Benjamin. Dazu sieht man den Mann immer wieder aufspringen. Nichts hält ihn lange an seinem Platz. Da ist man schon mittendrin im Thema Tourette. 

Denn man muss sich drauf einlassen - sonst kann man gleich aussteigen. Was schade wäre, weil man sich dann die Chance nehmen würde, drei interessante Menschen näher kennen zu lernen. Drei Menschen, die es durch ihre Störung nie leicht hatten. Und die offen in dem Theaterexperiment von Rimini-Protokoll nach dem Konzept von Helgard Haug erzählen, wie es ist, damit groß zu werden, zu leben, Kinder großzuziehen, sich zu verlieben und einen Beruf zu haben. 

Das Bühnenbild erinnert an eine urbane Lounge, an einen Club. Darin wird erzählt, geschwiegen, gesungen, getanzt. Und Jürgens schwebt irgendwann als Engel hoch über der Bühne. Ein Tor im Hintergrund geht auf, ein Bus fährt in das Depot, heraus springt Christian. Und als Letzter stößt Bijan Kaffenberger dazu. Der Mann, der für die SPD im hessischen Landtag sitzt, kommt direkt von einem Termin ins Theater. Dazu spielt Barbara Morgenstern passend Musik und untermalt das Ganze. Das wirkt alles sehr unaufdringlich, sehr ungezwungen. Man kann das gut finden, muss es aber nicht. 

Aber man findet das gut. Richtig gut. Weil es den schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Zurschaustellung oder Bloßstellung nie verlässt. Die drei Männer bleiben immer sie selbst. Und nie ist einer wie der andere. Jeder steht für sich. Jürgens klickt und wackelt beständig, nur, wenn er singt, hört sein Tourette auf. Hempel ergeht sich in Koprolalie - dem für Tourette typischen Gebrauch obszöner Begriffe - und Kaffenberger zappelt und quietscht. Das hat nichts von einem Panoptikum. Sondern viel mehr etwas von Mutigsein und Grenzen sprengen. Denn es zeigt, wie Tourette-Menschen sind, wie sie fühlen, was sie sich wünschen. Und vor allem: Wie man sich auf sie einlassen kann. Und wie man ihnen begegnen kann. Interaktion gibt es auch an dem Abend. Hempel bestellt Pizza für eine Zuschauerin. Und der Pizzabäcker um die Ecke bringt sie bis ins Depot. 

Die Versuchsanordnung in »Chinchilla Arschloch was was« gelingt. Es ist der seltene Moment, in dem Theater erklärt - ohne den Zeigefinger zu sehr auszustrecken. Eher ist da nur ein sanftes Streicheln. 

 


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