"Wo ist Russland?"

Rimini Protokoll zeigt eine inspirierende Simulation einer "Welt-Klimakonferenz" im Hamburger Schauspielhaus.

Von Jeannette Villachica

25.11.2014 / Wiener Zeitung

Das Berliner Künstlerkollektiv Rimini Protokoll ist bekannt für sein dokumentarisches Theater. Heldgard Haug, Daniel Wetzel und Stefan Kaegi holen das Leben auf die Bühne, machen Theaterbesucher und thematische Experten zu Akteuren; Schauspieler übernehmen höchstens Nebenrollen. So entsteht mit den Mitteln des Theaters eine neue Sicht auf unsere Wirklichkeit.
Am Wochenende fand die Uraufführung von Rimini Protokolls neuester Produktion im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg statt. Bei der "Welt-Klimakonferenz", einer komprimierten Simulation der bevorstehenden UN-Klimakonferenz in Perus Hauptstadt Lima (1. bis 12. Dezember), wurden die Besucher zu Delegierten eines der 196 vertretenen Staaten. Am Eingang erhielt jeder Teilnehmer ein Booklet mit Informationen zu Klima, Treibhausgas-Ausstoß, Bevölkerung und Wohlstand des Landes, das er in den folgenden drei Stunden vertreten sollte. Im neobarocken Saal von Deutschlands größtem Sprechtheater waren die samtroten Sitze mit Flaggen gekennzeichnet; drei oder vier Sitznachbarn bildeten eine Länderdelegation, die sich anhand einer Agenda im Booklet gemeinsam durchs Haus bewegen und auf ein Ziel hin arbeiten sollte: Jede Delegation sollte sich nach der Abschlusssitzung im Plenum festlegen, wie viel CO2sie bis 2020 beziehungsweise 2050 einsparen würde und welche Ausgleichszahlungen sie gegebenenfalls an vom Klimawandel besonders betroffene Staaten wie Bangladesch leisten würde.
Lob für Lettland, Tadel für Russland
Nach einer griffigen Einführung in Struktur, Ablauf und Geschichte der UN-Klimakonferenzen stellte der Physiker, Klimaforscher und Moderator des Abends Dr. Florian Rauser die Experten auf dem Podium vor: Rund 20 Politikwissenschafter, Ökonomen, Chemiker, Meteorologen, Spezialisten für Wald oder Wolken, für globale Klimaerwärmung und lokale Klimaschutz-Projekte - viele von ihnen mit jahrelanger Erfahrung auf Klimakonferenzen. Rauser mahnt, die Zeit gut zum Austausch mit den Experten und anderen Delegationen zu nutzen, dann geht es für unsere dreiköpfige Vertretung Lettlands zum Regionalgruppen-Treffen mit Osteuropa und Russland. Im schönen Marmorsaal werden wir für unsere gute Klimabilanz gelobt - Lettland verfügt über viel Wald und nutzt eifrig Wasserkraft.
Russland schneidet hingegen wegen seiner exzessiven Nutzung fossiler Brennstoffe schlecht ab. "Wo ist Russland?", fragt die für Energiepolitik zuständige Expertin. Die vier anwesenden "Russen" gucken beschämt, alle lachen. Trotz des ernsten Themas und des Drucks der Verantwortung, der auch in dieser Simulation spürbar wird, haben die Teilnehmer viel Spaß. Beim bilateralen Treffen mit Pakistan überlegen wir gemeinsam: Wie kann Lettland Pakistan helfen, seine Emissionen zu reduzieren? Später erklärt uns ein Vertreter der Nichtregierungsorganisation Germanwatch Verhandlungsstrategien, während wir bei Wellengang auf Liegestühlen unter einer künstlichen Sonne liegen.
Ob die versammelte Weltgemeinschaft es schafft, die Klimaerwärmung mit ihren erarbeiteten Zusagen bei maximal zwei Grad zu halten, ist hier nicht so wichtig. Als Teilnehmer hat man am Ende das Gefühl, eine Menge über die Dringlichkeit des Problems, über Klimapolitik, politische Arbeit im Allgemeinen und über die eigene Einstellung dazu gelernt zu haben.


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