Wie Theater-Aktivisten an Daimler scheiterten

Von Stefan Kirschner

09.04.2009 / Berliner Morgenpost

Das Regiekollektiv Rimini Protokoll hat sich einen Namen damit gemacht, Realität zu Theater zu machen. Diesmal mischten sich die Theater-Aktivisten unter die Daimler-Aktionäre und erklärten die Hauptversammlung zur großen Inszenierung. Es wurde eine dramaturgisch eine ziemlich fade Sache.
Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel sind Rimini Protokoll. Die drei haben das Projekt „Hauptversammlung“ geplant.
„Gehen Sie doch zu VW, das ist dieses Jahr spannender.“ Den wohlmeinenden Tipp vom ehemaligen AEG Chef und heutigen Kunstfreund Heinz Dürr hat das Regiekollektiv Rimini Protokoll dann doch ignoriert. Es sollte schon die Hauptversammlung von Daimler sein. Man könnte behaupten, dass die Finanzkrise den Theaterleuten in die Hand gespielt hat. Denn auch bei den schwäbischen Autobauern ist die Wirtschaftskrise das zentrale Thema. Die Aktionäre sorgen sich, und der Vorstand bemüht sich, Optimismus zu verbreiten.
Mag der Aktienkurs in den vergangenen Monaten auch in den Keller gerauscht sein, der positive Blick in die Zukunft gehört zur Hauptversammlungs-Inszenierung wie die Eier zum Osterfest.
Rund 200 Einladungen zum Aktionärstreffen hatten sich die Theatermacher besorgt – und an Theaterfans verteilt. Wer von denen tatsächlich zur Daimler-Hauptversammlung am gestrigen Mittwoch ins Berliner ICC gekommen ist, das lässt sich naturgemäß kaum feststellen. Im ersten Drittel der auf zwölf Stunden veranschlagten Versammlung sind sie unter den etwa 6000 Aktionären nicht weiter aufgefallen; es sei denn, der notorische, kurz vor dem Rauswurf stehende Zwischenrufer bei der Rede des Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche war ein Rimini-Vertreter.

AKTIONÄRSTREFFEN IM VORFELD
Zwei Tage vor der Premiere trafen sich die Neu-Aktionäre im Hebbel am Ufer (HAU). Für das „Briefing für die Hauptversammlung“ wurde gewissermaßen das Aktionärstreffen im HAU vorgeahmt – einschließlich der Phasen der Langeweile. Wer sich gut unterhalten will, sollte andere Veranstaltungen aufsuchen als eine Hauptversammlung. Neben Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel – den drei Akteuren von Rimini Protokoll – saßen Aktienexperten und ein ehemaliger Daimler-Manager auf der Bühne des HAU und erläuterten die Parallelen zwischen einer Theater-Inszenierung und einer Hauptversammlung: Auch die ist inszeniert, jeder auf dem Podium spielt eine Rolle und unten sitzt das Publikum. „Aber diesmal geht's morgens um acht Uhr los statt abends.“
Wer gestern später ins ICC kam, den bestrafte der Automobilkonzern mit einem Platz in Saal 2 oder 3. Dort konnte man dann lediglich die Videoübertragung sehen, also nur einen recht unbefriedigenden und zudem künstlerisch dem reinen Realismus verpflichteten Ausschnitt der Gesamtinszenierung.
Bei Daimler sorgte das Projekt mit der Gleichsetzung von Hauptversammlung und Theaterinszenierung für Verunsicherung, möglicherweise weil es einen Moment des Unkalkulierbaren in eine völlig durchgeplante Veranstaltung hineinbringt. So betonte der Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Bischoff ausdrücklich, dass es sich bei der Hauptversammlung weder „um ein Schauspiel noch ein Theaterstück“ handelt.
Aber man kann es selbstverständlich als solches betrachten. Auch wenn es gestern auf der riesigen Bühne im ICC (Frank Castorfs „Alexanderplatz“ hätte dort wunderbar hineingepasst) eher darum ging, viel zu reden und wenig zu sagen. Im Theateralltag verhält es sich meist umgekehrt.

DER MANN MIT DER FLIEGE
Rimini Protokoll hat wesentlich zur Renaissance des Dokumentarischen auf der Bühne beigetragen hat. Die Truppe arbeitet mit „Experten des Alltags“, also Laien, die später ihren Beitrag – meistens auf einer Theaterbühne – präsentieren. Im Vergleich zu anderen Rimini-Produktionen ist diese Hauptversammlung dramaturgisch eine ziemlich fade Sache. Die Akteure auf dem Podium – Vorstand und Aufsichtsrat – sind froh, wenn die Veranstaltung vorbei ist. Mag auf den legendären Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp der im Theater nicht negativ besetzte Begriff „Rampensau“ zugetroffen haben – bei Nachfolger Zetsche ist davon nichts zu spüren. Sein Bühnenauftritt ist von größtmöglicher Sachlichkeit geprägt.
Farbe ins Spiel bringen schließlich Aktionärsvertreter wie der „Mann mit der Fliege“, dessen Wortspiele von Shakespeare inspiriert sein könnten: Hans-Martin Buhlmanns Auftritt kommentiert ein Zuhörer mit den Worten: „Der schon wieder“, um sogleich aufzustehen und dem schon seit einigen Minuten durchziehenden Essensgeruch zu folgen. Es gibt der wirtschaftlichen Lage entsprechend vieles auf Kartoffelbasis; inmitten der Stehtische hat Daimler ein paar neue Modelle präsentiert, die überwiegend älteren Aktionäre sitzen Probe, schauen sich den Motor an und testen, wie sich das Schließen der Kofferraumklappe anhört. Natürlich ganz anders als bei VW. Da sind sich alle Experten des Alltags einig.


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